Franz Liszt

Sardanapalo/Mazeppa

Joyce El-Khourzy (Sopran), Airam Hernández (Tenor), Oleksandr Pushniak (Bassbariton), Staatskapelle Weimar, Ltg. Kirill Karabits

Rubrik: CD
Verlag/Label: Audite
erschienen in: das Orchester 06/2019 , Seite 68

„In drei Jahren werde ich definitiv mein Klavier zuschließen. Davor, im Winter 1843, werde ich in Venedig eine Oper vorstellen.“ Beide Vorhaben, notiert im Oktober 1841, hat Franz Liszt nicht realisiert. Über die Gründe ließe sich trefflich spekulieren. In jedem Fall zeigt die Absichtsbekundung Liszts Wunsch, seinem Leben eine Wendung zu geben: weg von der ­glamourösen, kräftezehrenden Virtuosenkarriere, hin zu einem Leben als anerkannter Komponist. Bis in die 1850er Jahre gärten seine Opernambitionen weiter, erst dann scheint Liszt sich von Plänen dieser Art verab­schiedet zu haben. War Wagner daran schuld?
Abgesehen von seinem Jugendwerk Don Sanche (1825) hat Liszt kein Bühnenwerk vollendet. Unerfüllte Liebe? Die vorliegende CD beweist nicht nur, dass Liszt in seiner Reifezeit zumindest ein Mal ein musikdramatisches Projekt bis zur Skizzierung eines ganzen Opernaktes geführt hat, sondern dass er – und dies ist die eigentliche Überraschung – ein echtes Bühnentalent war: Sardanapalo enthält sinnliche Opernmusik in Fülle.
Dass wir dieses Werk, an dem Liszt zwischen 1850 und 1852 gearbeitet hat, heute hören können, verdanken wir dem englischen Musikwissenschaftler David Trippett, der das Manuskript – 110 Seiten eines Skizzenbuchs, das alle Vokalstimmen sowie zahlreiche Instrumentationsangaben im Klavierpart enthält – orchestriert und in eine aufführungsfähige Form gebracht hat. Wir vernehmen Liszt at his best und zugleich ein stilistisches Prisma, durch das unterschiedliche Einflüsse hindurchschimmern: (viel!) Verdi, der junge Wagner, Berlioz, Bellini, Rossini. Sardanapalo ist eine italienische Oper, wobei Liszts Unzufriedenheit mit seinem (anonymen) Librettisten ein weiterer Grund für die Aufgabe des Projekts gewesen sein könnte.
Im 1. Akt begegnen uns drei Personen: Sardanapalus, der legendenumwitterte letzte assyrische König – mehr dem weiblichen Geschlecht als der Politik zugetan –, seine Geliebte Myrrha, eine griechische Sklavin, und ­Beleso, ein chaldäischer Wahrsager, der den hedonistischen Herrscher schließlich zum Waffengang aufruft. Oleksandr Pushniak, Ensemblemitglied des Weimarer Nationaltheaters, verleiht dieser Figur einen leuchtend-profunden Bassbariton, und auch die beiden anderen Rollen sind mit ­Airam Hernandéz – einem überraschend hellen, fast rossinesken Tenor – und dem ausdrucksstarken, gelegentlich ein wenig ins Metallische gleitenden Sopran von Joyce El-Khoury sehr gut besetzt.
Weimarer Opernchor und Staatskapelle unter der Leitung des ukrainischen Dirigenten Kirill Karabits setzen sich ebenfalls exzellent in Szene. ­Ergänzt wird Sardanapalo durch eine zupackende Interpretation der zeitgleich entstandenen Sinfonischen Dichtung Mazeppa. Liszts Überzeugung, dass Programmmusik und der „declamatorische Styl“ in der Oper „gebieterische Nothwendigkeiten“ des geistigen Lebens um 1850 seien, findet hier ihren hörbaren Ausdruck. Eine hochspannende CD!
Gerhard Anders