Joachim Raff

Samson

Magnus Vigilius, Olena Tokar, Robin Adams, Christian Immler, ­Michael Weinius, Chor der Bühnen Bern, Berner Symphonie­orchester, Ltg. Philippe Bach

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schweizer Fonogramm
erschienen in: das Orchester 11/2024 , Seite 70

Die Studioaufnahme von Joachim Raffs Samson macht mit einer prachtvollen Grand opéra aus dem Weimarer Kreis bekannt und gibt hoffentlich den Anstoß zur Beschäftigung mit einer – im Schatten Wagners noch immer sträflich vernachlässigten – Werkgruppe aus dem deutschen Sprachraum. Die bis 1857 entstandene Partitur reiht sich ein zu Werken wie Liszts Opernfragment Sardanapolo (1846–1852), Heinrich Dorns Die Nibelungen (Weimar 1854) und Karl Goldmarks Die Königin von Saba (Wien 1875).
Anlässlich seines 200. Geburtstags 2022 wurde der vor allem für seine Sinfonien und Kammermusikwerke bekannte Schweizer Joachim Raff (1822–1882) mit gleich zwei posthumen Uraufführungen gefeiert: Neben Samson am Deutschen Nationaltheater Weimar in der Regie von Calixto Bieito kam im September 2022 auch Raffs komische Oper Die Eifersüchtigen am Theater in Arth heraus. Ideal: Die Erfahrungen der Staatskapelle Weimar mit Raffs ambitionierter Instrumentation konnten nun in die Erarbeitung der vorliegenden Aufnahme von Philippe Bach und dem Berner Symphonieorchester einfließen.
Von der schillernden Verortung der dreistündigen Partitur zwischen Lohengrin und Meyerbeers Modell eines den Ereignissen ausgelieferten ­Tenor-Antihelden liest man nicht nur im profunden Booklet-Aufsatz von Severin Kolb, sondern hört diese auch: Philippe Bach implantiert Raffs intensives Wagner-Erlebnis, aber auch die Vereinnahmung von Bellinis konzentrierter Melodik – Ergebnis ist eine progressive Harmonik und der Aufbruch von der mehrteiligen Doppelnummer zu kleiner gegliederten, den dramatischen Anlässen folgenden Formen. Der Protagonist Samson ist wie in der zwanzig Jahre später in Weimar uraufgeführten Oper Samson et Dalila von Camille Saint-Saëns der zwischen den Kämpfen des Volkes Israel und seiner Liebe zu Delilah zerrissene Richter. Raff gestaltet die Frauenfigur in seinem Textbuch allerdings positiv. Bei ihm beschwört Samson mit der Harfe „Israels alten Heldengeist“ und den „Sühnetod fürs Vaterland“. Erst dann reißt er mit seinen starken Armen die Säulen des Dagonstempels ein.
Das glänzend gemeisterte Großprojekt zeichnet sich durch eine überlegte Sängerbesetzung aus. Magnus Vigilius und Olena Tokar stehen mit leuchtkräftigen und großen lyrischen Stimmen an dessen Spitze. Philippe Bach stürzt sich mit strukturierendem Gestaltungswillen und schwärmerischer Emphase auf Raffs Oper. In dieser erweist sich Raff als stärkerer Musikdramatiker als in seinen lyrischen Komödien Dame Kobold und Benedetto Marcello. Robin Adams, Christian Immler und Michael Weinius sowie der von Zsolt Czentner topsicher angeleitete Chor der Bühnen Bern sind eine exzellente Bereicherung dieser Weltersteinspielung.
Roland Dippel

 

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