Samir Odeh-Tamini
Samas
für Viola und Streichorchester, Partitur
Viola solo und Streichorchester, dazu Perkussion – viel Klang, einige Kontraste, überlegt gewählte sanfte Effekte in verblüffender Kleinteiligkeit. Samir Odeh-Tamini hat mit Samas ein fast halbstündiges Musikstück vorgelegt, das Streicher und Zuhörer gleichermaßen mögen werden. Die Violinen (fünf erste, vier zweite Violinen) dürfen jeweils eine eigene Stimme spielen, ebenso die drei Celli. Der Kontrabass, einfach besetzt, agiert sowieso solistisch. Dadurch entsteht ein recht enges Geflecht von vielen Tönen, genau notiert und mit neuen Spieltechniken angereichert. Die Tempi sind ruhig bis sehr ruhig gewählt, sodass die vielen Töne ohne Hektik oder technische Kapriolen ausgeführt werden können.
Odeh-Tamini versieht die Solo-Viola mit einigen spieltechnischen Anforderungen, lässt sie teils nur ein wenig über dem Tutti hervorlugen, teils solistisch den vollen Klang des Instruments entfalten, so beispielsweise ungefähr in der Mitte des Werks. Hier übernimmt sie die fast perkussiv anmutenden Triolen (die vorher zeitgleich zu Sechzehnteln durch die Streicherstimmen geflochten waren) und darf diese Triolen – später Sechzehntel, kurz begleitet vom Schlagwerk, dann solo – weiterführen, ehe in Takt 203 die ersten Violinen dazustoßen. Ab Takt 208 sind dann wieder alle Musiker beteiligt, doch Odeh-Samini hat die Motive längst in anscheinend organischer Weiterentwicklung geändert. Lange Töne, über mehrere Takte hinweg und in allen Stimmen, sorgen mehrfach für expressive Ruhe, harmonisch ohne größere Dissonanzen.
Schon zu Beginn des Werks setzt der Komponist auf Farbigkeit und Kontraste durch Einwürfe der Streicher (jeweils sechs Töne, allesamt im individuell vorgeschriebenen, sehr flotten, Tempo zu spielen) und eine kurze Pause, aus der sich nach (notiert) ca. 30 Sekunden die Solo-Viola erhebt, um „ganz ruhig“ doppelgriffig Sekunden zu spielen. Die Melodie der Viola kreist innerhalb des kleinen Ambitus e’ bis a’ (klingend), rhythmisch immer ein bisschen anders. Wenig Material entfaltet hier große Wirkung. Fast vorsichtig und mit „halb gedrückten Saiten“ kommen nun die anderen mit einem langen Bordunton dazu. Dann wiederholen sich die je sechs in verschiedenen schnellen Tempi eingeworfen Töne eines jeden Musikers, die man vom Beginn kennt. Odeh-Tamini hat hier eine deutliche Form gefunden, um das Ende des Anfang hörbar zu machen.
Immer wieder grenzt er das melodische Material stark ein, lässt die Streicher mit nur wenigen Tönen oder Tonrepetitionen arbeiten. So entsteht ein genau notiertes flirrendes Geflecht mit fein abgestufter Dynamik. Fulminante Showstücke vermeidet Odeh-Tamini bewusst. Stattdessen dominiert das genau überlegte, eng verzahnte Kleinteilige, das immer wieder einmal in kurzer Zeit vom Pianissimo zum Fortefortissimo anschwillt, sich Pausen gönnt und nie das Band zum Ohr des Hörers lockert.
Das Werk endet im wohl sortierten, aber sehr leisen Flirren kleiner Figuren aller Musiker – ganz plötzlich, auf den Punkt notiert, ohne Ritardandi. Spannend!
Heike Eickhoff