Salvatore Accardo

Masterclass in Cremona, Vol. 2

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Dynamic 33737
erschienen in: das Orchester 05/2013 , Seite 79

Ein Meisterkurs auf DVD: Was für einen Sinn macht dies? Kann man hier etwas lernen oder ist das „nur“ ein Dokument, wie einer der bedeutendsten Violinvirtuosen des 20. Jahrhunderts unterrichtet?
Wir sehen und hören auf dieser DVD, wie Francesca Dego mit Salvatore Accardo die Kreutzer-Sonate und Fabrizio Falasca die Frühlingssonate von Beethoven erarbeiten. Beide Meisterklassenschüler sind heute auf dem Sprung zu einer Solokarriere. Die Videoaufnahmen wurden 2011 in der Accademia Walter Stauffer in Cremona gemacht. Sie spiegeln eine normale Unterrichtssituation wider. Insoweit ist diese DVD vor allem ein Dokument. Was würde man darum geben, wenn man solche Aufnahmen etwa noch von Joseph Joachim und anderen Geigern der früheren Zeit hätte!
Salvatore Accardo gibt freundlich, aber bestimmt, manchmal auch mit Humor seine zumeist kurzen Anweisungen auf Italienisch. Untertitel in Englisch, Japanisch, Chinesisch und Koreanisch können hinzugefügt werden. Accardo unterbricht Fabrizio Falasca häufiger, Francesca Dego lässt er den Anfang der Kreutzer-Sonate durchlaufend spielen. Seine Anweisungen beziehen sich auf das Zusammenspiel zwischen Geige und Klavier und sehr häufig auf das musikalische „Timing“. Bei aller Virtuosität, die ihn, aber auch seine beiden Studenten auszeichnet, sind für ihn Ruhepunkte, eine überlegte und klare Anordnung der musikalischen Geschehnisse wichtig. Ihm liegt viel daran, dass zum Beispiel die Tempowechsel in der Kreutzer-Sonate in ihrer ganzen Gegensätzlichkeit herausgearbeitet werden. Viele Hinweise gibt er zur Artikulation, zur richtigen Betonung, zur Phrasierung größerer Einheiten. Jeder Ton, lehrt er seine Schüler, hat sein Gewicht und seine Bedeutung. Besonders genau arbeitet er am langsamen Satz der Frühlingssonate. Hier lernt man verstehen, was italienische Gesanglichkeit bedeutet. Technisches erfährt man von dem virtuosen Paganini-Spieler Accardo nicht allzu viel. Er kritisiert unbequeme Lagen, macht Mut zur leeren Saite oder fordert das Lagenspiel, wenn durch einen Saitenwechsel ein Bruch in der Klangfarbe entsteht.
Ist diese DVD mehr als ein Dokument? Gewiss, man kann von ihr viel lernen, vor allem, wenn man die Noten mitliest. Aber was nun das Spezifische und Besondere am Unterricht von Accardo ist, das herauszufinden, ist man auf sich selbst gestellt. Didaktisch ist diese Edition jedenfalls nicht. Dazu wäre es besser, wenn zum Beispiel eine Notenausgabe mit den von Accardo bevorzugten Stricharten und Fingersätzen beigegeben würde. Auch wäre es hilfreich, wenn Accardo etwas ausführlicher darüber sprechen würde, was ihm bei den beiden Beethoven-Sonaten wichtig ist.
So erhalten wir einen Einblick – nicht mehr und nicht weniger, und wir kommen einem sympathischen, humorvollen und musikalisch überzeugenden Meister seines Instruments näher. Dafür sind wir und spätere Generationen auf jeden Fall dankbar.
Franzpeter Messmer