Werke von Friedrich Kuhlau, François Borne, Brett Dean und anderen

Sage & Mythos

Lilja Steininger (Flöte), Erika le Roux (Klavier)

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Ars Produktion
erschienen in: das Orchester 6/2022 , Seite 78

Die Flöte gilt in vielen Kulturen als magisches Instrument, teilweise verknüpft mit Gottheiten, assoziiert mit Verführung, gar mit Zauber: Nicht nur Mozarts Zauberflöte gibt davon beredtes Zeugnis. Mit Flötentönen werden Seelen in Totenreiche geleitet, Geister beschworen, Menschen entführt.
In diese Welt aus Sage und Mythos entführt vorliegende CD gleichen Namens: Werke im Schwerpunkt der Romantik bilden die Basis, auf der Lilja Steininger (Flöte) und Erika le Roux (Klavier) ins fantastische Reich der teils virtuos-pathetischen und fein-sinnlichen Klänge mitnehmen. Dramaturgisch gut durchdacht werden gleich von Beginn an alle Register gezogen: Kuhlaus Introduktion und Variationen op. 63 über ein Thema aus Carl Maria von Webers Euryanthe öffnen den Klangvorhang und geben die akustische Bühne frei für virtuos-tonsensibles Musizieren in überzeugendster Art und Weise.
Seltener zu hören ist François Bornes hier eingespielte Ballade et danse de lutins. Steininger tanzt auch hier stil- und tonsicher auf dem pianistisch feinnervig von Leroux gespannten Klangseil, das in dieser Komposition tatsächlich auch immer wieder dialogisch-korrespondierend geführt wird. In Brett Deans Demons für Flöte solo (2004) fasziniert Steininger mit der Vielfalt neuer Spieltechniken und einer dramatisch gesteigerten Erweiterung der klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten, die die schillernde Janusköpfigkeit des kompositorisch gestalteten Dämons verdeutlichen: Zwischen geräuschhaften, teilweise perkussiven Elementen entfaltet sie als farblichen Gegensatz die lyrische Tongebung, die immer wieder umgefärbt wird in bewusst schrill gesetzte Klangpassagen. Ein hoch dramatisches Werk, in dem die Flötistin temperament- und wirkungsvoll ihre Spiel- und Gestaltungsfähigkeit in Szene setzt. Beinahe lakonisch schlendernd schließt sich danach Carl Reineckes Sonate op. 167 „Undine“ an: Nach der Hochspannung des solistischen Dean lassen die beiden Musikerinnen dieses Repertoirestück weich und klangvoll fließen – Schönheit ist hier Programm.
Paul Taffanel war zweifellos einer der bedeutendsten und in der starken Prägung der neuzeitlichen französischen Schule des Flötenspiels folgenreichsten Flötisten des 19. Jahrhunderts – technisch und musikalisch brillant, fasziniert von den zunehmend größeren Möglichkeiten der Böhm-Flöte aus Silber, von denen er in seinem breit angelegten virtuosen Querschnitt durch Webers Oper in seiner Fantaisie sur le Freischütz reichlich Gebrauch macht: Die Komposition ist gekennzeichnet durch spannungsgeladene Wechsel langsam-melodischer Abschnitte und sprühender Virtuosität, der man deutlich anmerkt, dass sie von einem absoluten Kenner (und Könner) des Soloinstruments geschrieben wurde.
Vorliegende Einspielung wirkungsvoller Vortragswerke mit dem Schwerpunkt des 19. Jahrhunderts gibt einen repräsentativen Überblick über flötistische Ausdrucksmöglichkeiten, die nicht nur faszinieren, sondern in ihrer Stilsicherheit und technischen Brillanz auch beispielgebend musiziert sind.
Christina Humenberger