Robert Schumann

Sämtliche Werke für Violine und Orchester

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler Classic 93.258
erschienen in: das Orchester 12/2010 , Seite 74

Robert Schumann hat durchaus Sinnvolles, Schönes und über den aktuellen Status hinaus Wichtiges für die Violine (plus Orchester) geschrieben. Dennoch liegt über diesem Teilaspekt seines Schaffens auch heute noch Unbekanntes, Verfremdendes, Problematisches. Das wiede­-rum hängt mit der Entstehungszeit der Werke, mit Widmungen (für Joseph Joachim beispielsweise), mit der Krankheit des Komponisten und vielen Missverständnissen in der Rezeptionsgeschichte zusammen.
Umso erhellender und zwingender bestätigen Lena Neudauer, erst 26-jährige, aber schon ungewöhnlich „reife“ Solistin dieser CD, und Pablo Gonzalez mit der Deutschen Radio Philharmonie, dass die Einordnung „beiläufig“ oder „nicht wesentlich“ falsch ist. Alle diese Stücke, alle um 1850, also in der frühen „Endzeit“ Schumanns geschrieben, verraten Melodienreichtum, interessante Ausarbeitung, orchestrale Farbigkeit und geigerischen Glanz. Wenn denn jemand kommt, um das meist vorherrschende lyrische Material auszubreiten und in ihm seelische Tiefe und Differenzierung zu entdecken.
Genau dies tut Lena Neudauer. Sie verzichtet völlig auf Egoismen, umgeht virtuose Selbstbespiegelung, schenkt ihre Aufmerksamkeit der Schönheit des Violin-Gesangs. In der Tat: Schumanns Fantasie für Violine mit Orchester op. 131 (1853/54), die beiden Violinkonzerte d-Moll (1853, aber erst 1937 veröffentlicht) und a-Moll (1850/53, erschienen 1854/1987) sowie drei Bearbeitungen aus den zwölf vierhändigen Klavierstücken für Kinder (1849/50) wirken auf uns heute wie romantisch durchpulste „Lieder ohne Worte“. Sie sind, selbst in den dramatischeren Partien (besonders in den schnellen Sätzen der beiden Solokonzerte), gesanglich, beredt, liebenswürdig, plaudernd.
Dabei umgeht Lena Neudauer die Gefahr, mit effektvollem Pathos ihre technisch anspruchsvollen Passagen aufzuladen. Sie mutet allen vier Werken die Aura des Schlichten und eher Heiteren zu. In den früheren Reaktionen wurde Schumann gelegentlich missverstanden, weil die Interpreten auf dem Konzertpodium die Kompositionen zu ernst, zu unsensibel und zu scharfkantig angegangen sind. Das führte zu den eingangs bekundeten Fehleinschätzungen. Die Solistin dieser CD, die auf einer Guadagnini von 1743 spielt, bleibt stattdessen dem rheinischen Romantiker auf der Spur.
Bemerkenswert in diesem Werkvergleich sind die drei Bearbeitungen von Klavierstücken, die dem kindlichen (?) Verständnis zugeschrieben wurden: gar nicht so einfache, dennoch als Ganzes wirkende Stücke mit illustrativer Titelgebung (Gartenmelodie, Am Springbrunnen, Abendlied). Man hört diese Orte und deren Stimmungen jeweils aus dem Klangaufbau und den Solo-Schwüngen der Violine heraus.
Die Deutsche Radio Philharmonie trumpft in keinem Moment unangepasst oder unangemessen auf. Das Orchester, animiert und unkompliziert von Gonzalez geleitet, versteht sich in dienender Partnerschaft. Das macht diese Aufnahme jederzeit sympathisch. Schumanns schwelgerischer Musikkosmos kommt hier zu seinem Recht!
Jörg Loskill