Rimsky-Korssakoff, Nikolai/Henri Wieniawski

Russische Fantasie / Legende/Violinkonzert

Rubrik: CDs
Verlag/Label: RBM 463 009
erschienen in: das Orchester 10/2004 , Seite 84

Der aus Prag stammende Violinvirtuose Franc Mueller widmet sich auf dieser CD slawischer Musik aus Russland und Polen. Vom ersten Ton an hört man, dass ihm dies besonders liegt. Er spielt außerordentlich weich und sinnlich, beherrscht ein makelloses Legato. Auch die hohen Töne auf der E-Saite wirken singend und nie schrill, und die Passagen auf der G-Saite sind voller Leidenschaft, was ganz der russischen Melancholie entspricht. Franc Mueller besitzt eine stupende Virtuosität, mit der er scheinbar mühelos selbst die schwierigsten Passagen in Henri Wieniawskis Violinkonzert bewältigt. Läufe, Lagenwechsel, verschiedenste Stricharten werden souverän eingesetzt. Es ist eine große Freude, diesem meisterhaften Musizieren zuzuhören, auch weil das Staatsorchester Rheinische Philharmonie unter den Dirigenten Pierre Stoll (Russische Fantasie und Legende) und Walter Crabeels ebenso diesen weichen, modulationsreichen Ton hat und so eine in sich stimmige Interpretation entsteht.
Rimsky-Korssakoffs Russische Fantasie, Wieniawskis Legende g-Moll und sein Violinkonzert sind Virtuosenmusik voller Gefühlsausbrüche und beeindruckender Artistik. Franc Mueller ist kein Solist, der sich in den Vordergrund spielt. Er trägt diese Musik natürlich, musikantisch, als Teil des Orchesters vor. Damit zeigt er trotz seines hohen Könnens eine sympathische Bescheidenheit.
Doch nach längerem Zuhören hat man das Gefühl, dass diese Musik so gespielt zwar schön ist, ihr aber doch etwas fehlt: nämlich das Bravouröse, also das Halsbrecherische, das Zirkusartige, das Unvorhergesehene. Muellers Legato ist zu makellos, er artikuliert die Melodien von Rimsky-Korssakoff und Wieniawski überzeugend, aber er macht nicht die in ihnen liegende Spannung zu einem außerordentlichen Ereignis. Dies liegt wohl daran, dass er auf seiner Guarneri allzu sehr die Klangschönheit betont, zu musikantisch und selbstverständlich spielt. Gewiss ist für diese Musik der melodische Fluss etwas Wichtiges. Doch hier vermisst man Betonungen, kleine, aber bedeutsame Artikulationspausen und vor allem Rhythmus: Mueller vernachlässigt die rhythmischen Konturen, kann dem Hörer nicht die Nähe der Musik Rimsky-Korssakoffs zur russischen Sprache plausibel machen. Dadurch wirken Violinton und Orchesterklang allzu materiell, fehlen insbesondere bei Wieniawski Esprit und Eklat. Man spürt, da spielt jemand, der sein Instrument meisterhaft beherrscht, der aber nicht den Mut hat, das Äußerste zu wagen. Doch gerade von diesem Wagnis lebt Rimsky-Korssakoffs und Wieniawskis Musik.
 
Franzpeter Messmer