Werke von Alexander Gretschaninow und Sergej Rachmaninow

Russian Works for Cello and Piano

Katharina Deserno (Violoncello), Nenad Lecic (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Kaleidos KAL 6327-2
erschienen in: das Orchester 03/2016 , Seite 79

Sie waren Zeitgenossen, ihre Lebensläufe weisen Parallelen auf und doch trennen sie Welten: Sergej Rachmaninow – zu Lebzeiten ein gefeierter Pianist und Komponist, bis heute eine unverrückbare Größe im Klassikrepertoire – und Alexandr Gretschaninow. Sein Name ist am ehesten noch Instrumentallehrern geläufig, denn er hat zahlreiche reizvolle Stücke für Schüler geschrieben. Nicht zufällig standen drei Miniaturen aus Gretschaninows Kinder-Zyklus In aller Frühe am Beginn der vorliegenden CD-Produktion. Durch diese Stücke, so berichtet Cellistin Katharina Deserno, seien sie und ihr Klavierpartner Nenad Lecic erst aufmerksam geworden auf die „Erwachsenen-Werke“ des zu Unrecht vergessenen Russen.
Nach frühen Erfolgen im zaristischen Russland übersiedelte Gretschaninow 1925 nach Paris, später in die USA. Er komponierte Bühnen- und Orchesterwerke, Kammermusik und Lieder und tradierte in seiner Musik bis weit ins 20. Jahrhundert stilistisch eine Linie, die auf Tschaikowsky und Gretschaninows Lehrer Rimskij-Korsakow zurückweist. Wie wenig hiermit über die Qualität der Musik selbst gesagt ist, beweist Gretschaninows 1927 entstandene Cellosonate op. 113. Dem schwelgerischen Melos der langsamen Einleitung folgt ein kontrastreicher, bisweilen dramatischer Kopfsatz. Anstelle des zu erwartenden langsamen Satzes schließt sich ein „Menuetto tragico“ überschriebenes Intermezzo an, dem der „russischste“ Satz der Sonate folgt: ein düster-furioses Allegro.
Auf der vorzüglichen CD des Duos Deserno/Lelic steht diesem Werk die ungleich berühmtere Sonate von Sergej Rachmaninow gegenüber, und im direkten Vergleich schneidet Gretschaninow nicht schlecht ab. Mag Rachmaninows melodischer Einfallsreichtum hier und da zündender, mag die Stringenz seiner Musik zwingender sein, so handelt es sich bei Gretschaninows „unzeitgemäßer“ Sonate um ein lohnendes und überdies mit viel Gespür für die heikle Balance zwischen Cello und Klavier komponiertes Werk. Ergänzt wird die Einspielung der beiden Sonaten durch Rachmaninows sattsam vertraute Vocalise op. 34/14, Gretschaninows melancholisches Nocturne op. 86 sowie dessen erwähnte Kinderstücke.
Katharina Deserno erwarb sich erste pädagogische Meriten als Assistentin der Kölner Professorin Maria Kliegel. Mittlerweile hat sie neben ihrer cellistischen Karriere eine musikwissenschaftliche Dissertation vorgelegt und wirkt als Professorin an der Frankfurter Musikhochschule. Nenad Lecic ist Dozent an der Musikhochschule Köln. Seit 2002 bilden die beiden vielseitigen Musiker ein festes Duo und haben für ihre Konzerte und CD-Aufnahmen viel Lob erhalten. Dem schließen wir uns anlässlich der vorliegenden Produktion mit Freuden an: Wir hören farb- und nuancenreich dargebotene Kammermusik auf hohem Niveau. Balance und Klangmischung sind ideal aufeinander abgestimmt, sowohl im elegisch-gesanglichen Ton als auch im kräftig-zupackenden Modus. Emotionalität und Strukturbewusstsein ergänzen einander perfekt. Ein Genuss!
Gerhard Anders