Mikhail Kollontay
Russian soul en route
Viola Concerto op. 8/First Piano Concerto Nai-Yueh Chang (Viola), Alexei Kornienko (Klavier), RTV Symphony Orchestra Moscow, Ltg. Alexei Kornienko/Mikhail Kollontay
Alles nur geklaut! Dass dem so ist, gibt der Komponist (darf man ihn wirklich als solchen bezeichnen?) im Beiheft freimütig zu. Sogar, dass er mit seinem „Diebstahl“ den einen oder anderen Komponistenkollegen verärgert hat.
Aber sollte man deshalb diese Pasticci aus fremden Federn von vornherein verwerfen? Nein, das nun eben nicht! Denn in ihrer musikalischen Verarbeitung beweist der in Russland geborene, heute in Taiwan lebende Kollontay, dass er eben doch ein inspirierter Komponist und nicht nur ein lausiger Kompilator ist.
Beide auf der CD eingespielten Werke sind in einer durchaus eigenen, der Spätromantik verpflichteten Tonsprache gehalten – einer Spätromantik, in die der Komponist gelegentlich vorsichtige „modernistische“ Fußstapfen setzt (was vor allem im Bezug auf das erste Klavierkonzert gilt). Dessen etwas eigentümlicher Titel Das Weiße bezieht sich auf den Tod seines Lehrers Igor Shvedov, den Kollantay als einen „weißen, freundlichen, hellen und grauhaarigen Tod“ wahrnimmt. Die an Rachmaninow erinnernde (ihn aber nicht kopierende) Andante-tranquillo-Einleitung mit ihren geradezu endlosen, in Gegenläufigkeit auf- und absteigenden Tonfolgen hat tatsächlich etwas Reines, etwas „Weißes“ an sich. Eine Musik zum „Abchillen“ – aber bei Weitem nicht so süßlich, wie derlei Musik im Allgemeinen aufzutreten pflegen. Hier dirigiert der Komponist selbst, am Klavier sitzt der Rachmaninow-Preisträger und künstlerische Leiter des „Wörthersee Classics Festival“, Alexei Kornienko.
Dieser betreut als versierter Dirigent, der er daneben auch ist, Kollontays Violakonzert, dessen sich die taiwanesische Bratschistin Nai-Yueh Chang als Solistin angenommen hat. Vielleicht bezieht sich der CD-Titel, der (verkaufsträchtig) die „russische Seele“ auf Wanderschaft beschwört, vor allem auf dieses Violakonzert – ein Gedanke, der indes luftschwebend bleibt, solange nicht ein für allemal das nie zu Klärende geklärt ist, was nämlich das sei, diese im Westen so vielfach ausgedeutete „rrrussische Säääle“…
Wer hier nämlich typisch Russisches überhaupt entdecken will, muss sich tief hineinknien in die Partitur, in der Kollontay Kompositionen der beiden russischen Tschaikowskys (Peter und Boris) durch seinen speziellen Musikwolf gedreht hat. Entstanden ist ein hochvirtuoses, rhythmisches, in vielen Passagen dialogisierendes Werk, dessen an bildunterstützte Filmmusik erinnernde Sogwirkung sich kaum ein Hörer wird entziehen können. Die unzähligen Klippen dieses Konzerts werden von Nai-Yueh Chang mit Einfühlsamkeit („chinesische“ Seele???) und höchster Präzision gemeistert.
Die mit Solostücken nicht eben verwöhnte Bratschistenwelt wird Kollontay diese Komposition zu danken wissen.
Und: Endlich mal ein Diebstahl, der sich lohnt. Aber bitte nicht in Ihrem CD-Laden!
Friedemann Kluge