Werke von Tschaikowsky, Glasunow, Dawidow und anderen
Russian Mood
Benjamin Kruithof (Violoncello), Nordwestdeutsche Philharmonie, Ltg. Conrad van Alphen
Glücklicherweise vernehmen wir auf der vorliegenden CD durchaus unterschiedliche Stimmungen, wenngleich ihr Titel Russian Mood gleichsam Melancholie als Dauerzustand verheißt. Immerhin entsprechen fünf der acht eingespielten Werke ziemlich genau jenem Assoziationsprofil, das uns beim Stichwort Russische Musik verständlicherweise zu allererst in den Sinn kommt: viel Seele, viel Gefühl.
Doch es gibt auch eine andere Seite. Von ihr zeugen insbesondere jene beiden Originalwerke, die Tschaikowsky dem Cello auf den Leib geschrieben hat: die berühmten Rokoko-Variationen op. 33 und das Pezzo capriccioso op. 62. Hier erleben wir unbändige Lust an feuriger Virtuosität, die fast in Wildheit umschlägt, um – man kann sich dieser Deutung kaum erwehren – die Dunkelheiten der Seele zumindest vorübergehend zu verdrängen.
Dass beide Facetten hier in vollendeter Form zu vernehmen sind, verdanken wir dem großartigen Spiel des jungen, immens begabten Cellisten Benjamin Kruithof. Der 1999 in Luxemburg Geborene studierte in Maastricht und Köln, bevor er 2017 in die Klasse von Jens-Peter Maintz an der Universität der Künste Berlin wechselte. In den wenigen Jahren seiner bisherigen Karriere konnte er durch Wettbewerbserfolge sowie Auftritte unter anderem im Concertgebouw Amsterdam und in der Salle Cortot in Paris nachhaltig auf sich aufmerksam machen.
Mit warmem Ton, geschmackvollem Vibrato und makelloser Technik gespielt, können Piècen wie Glasunows Chant du Ménestrel, Karl Dawidows Charakterstück Sonntag Morgen, Tschaikowskys Nocturne op. 19 Nr. 4, sein berühmtes Andante cantabile aus dem 1. Streichquartett – es soll Tolstoi zu Tränen gerührt haben – und last but not least Rachmaninows Vocalise pure Hörfreude verbreiten.
Nirgends erliegt der junge Solist der Gefahr, zu dick aufzutragen, die reine russische Seele, die aus diesen schönen Stücken spricht, mit etwaigen Geschmacksverstärkern zu überfrachten. Zugleich zeigt sich Kruithof den virtuosen Anforderungen der erwähnten Bravourwerke glänzend gewachsen. Vielleicht hat man die rasante letzte Variation aus Tschaikowskys op. 33 von Rostropowitsch & Co noch einen Tick schneller gehört, aber dass hierin kein ernsthaftes Qualitätskriterium zu sehen ist, versteht sich von selbst.
Und dann wäre da noch ein „Überraschungsei“: die Fantasie über Kleinrussische Lieder op. 43 aus der Feder des ungarischen Cellisten David Popper. Seiltanz pur! Horrend schwierige Doppelgriffe, Oktavgänge, Ar-peggien in Hülle und Fülle, souverän dargeboten von Benjamin Kruithof!
Das Begleitteam – die Nordwestdeutsche Philharmonie, geleitet von Conrad van Alphen – agiert nicht immer mit letzter Delikatesse, aber soweit fehlerfrei. Dem Aufnahmeteam ist indes anzulasten, dass Kruithofs feine Diktion gelegentlich nicht „durchkommt“. Hier und da droht der Solist unterzugehen. Da wäre ein zusätzliches kritisches Ohr angebracht gewesen.
Gerhard Anders