Mussorgsky, Dargomyzhsky, Tchaikovsky und andere
Russian Arias
Vesselina Kasarova (Mezzosopran), Baden-Badener Philharmonie, Ltg. Pavel Baleff
Die große Diva bleibt sich selbst treu: Es sind die Nischen des Genres, die Raritätenprogramme, von denen sie sich immer wieder herausgefordert fühlt. Und so ist auch die Auswahl der hier vorgestellten Arien in doppelter Hinsicht mutig: erstens, weil sich auf der CD nicht ein einziges so genanntes Schlachtross findet. Was freilich kein Manko ist, denn alle eingespielten Stücke sind äußerst hörenswert und verdienen es, den Opernfreunden vorgestellt zu werden (zumal knapp die Hälfte der hier vereinigten Opern in Deutschland kaum je einmal die Chance zur Bühnenpräsenz hatte bzw. haben wird). Zweitens: Es sind durchaus eher tenebre Arien (Ausnahmen: die Arie der Laura aus Dargomyschskijs Steinernem Gast und Polinas Gesang aus Pique Dame), die von Kasarova angestimmt werden, also kaum etwas für den beschwingten Opernabend mit Freunden am heimischen Kamin
Immer wieder erstaunlich ist die männliche Singweise dieser wie sie ein Kritiker einmal bezeichnete unfassbar liebenswerten Herzenssängerin, deren Stimme problemlos das Attribut schwarz auf sich beziehen kann, das normalerweise nur den männlichen Kollegen aus der vorzugsweise russischen Bass-Fraktion vorbehalten ist: ein Mezzo, der auch in der Altlage glänzend bestehen kann!
Es ist nicht ganz einfach, aus dieser musikalisch durchaus gleichwertigen Auswahl einzelne Stücke hervorzuheben, aber am bestechendsten erscheinen mir Olgas Arie aus Tschaikowskys Eugen Onegin (Ach, Tanja, Tanja) und Johannas Arie (Da, tschas nastal) aus seiner Jungfrau von Orléans mit ihren unüberhörbaren Auftakt-Anklängen an Wagner.
In ganz besonderer Weise beeindruckt außerdem der A-cappella-Gesang aus Rimskij-Korsakows Zarenbraut. Hier kann sich wirklich keine Stimme verstecken, und Kasarovas unglaublich präziser, ausdrucksstarker und farbenreicher Mezzosopran mit seinem expansiven Tiefenregister (das ihr albernerweise gelegentlich zum Vorwurf gemacht wird!) löst das Problem natürlich mit Bravour!
Die beiden Orchesterzugaben, das Vorspiel zum ersten Akt von Tschaikowskys Pique Dame und der Tanz der Komödianten aus Rimskij-Korsakows Schneewittchen, klingen bei aller musikalischen Qualität und Relevanz ein bisschen nach Verlegenheit: Die russische Opernliteratur ist doch voll der wunderbarsten Partien für Mezzosoprane, mit denen Kasarova hier noch hätte brillieren können (man denke nur an Werke wie Glinkas Ruslan und Ljudmila, Rimskij-Korsakows Märchen vom Zaren Saltan, Prokofjews Liebe zu den drei Orangen und viele andere), und man fragt sich, warum nicht anstelle der beiden Orchesterstücke noch zwei weitere Gesangspartien in die CD gebrannt wurden.
Friedemann Kluge