Rudi Stephan

Kammermusik und Lieder

Hinrich Alpers (Klavier), Tehila Nini Goldstein (Sopran), Hanno Müller-Brachmann (Bariton), Agata Szym­czewska (Violine), Nabil Shehata (Kontrabass), Marie-Pierre Langlamet (Harfe), Kuss Quartett

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical
erschienen in: das Orchester 12/2017 , Seite 71

Der Wormser Komponist Rudi Stephan (1887-1915) gilt als eines der größten Talente seiner Generation. Sein umfangreichstes Werk, die Oper Die ersten Menschen, 1914 entstanden, wurde 1920 in Frankfurt posthum uraufgeführt. Stephans Musik ist nicht leicht einzuordnen: Einflüsse Wagners, des französischen Impressionismus, aber auch eine Suche nach einer neuen Harmonik im Sinn des frühen Schönberg sind nur einige der Momente, die in seinem Schaffen Spuren hinterlassen haben. Trotz seiner Studien bei Bernhard Sekles in Frankfurt und München, wo der Sohn einer wohlhabenden Wormser Juristenfamilie 1911 sein erstes bedeutendes Konzert hatte, ist Stephan weitgehend als unabhängiger Autodidakt zu sehen.
Von seinem Werk sind fast ausschließlich die im Schott-Verlag erschienenen Kompositionen erhalten, da viele Manuskripte im Nachlass 1945 einem Bombenangriff auf Worms zum Opfer fielen. In den vergangenen Jahren begegnete man in Konzertprogrammen vermehrt Stephans Musik für Orchester und der Musik für Geige und Orchester, und recht zögerlich taucht sein Name auch in CD-Katalogen auf. Eine verdienstvolle und künstlerisch überzeugende Ergänzung des schmalen Angebots an CD-Einspielungen stellt eine von dem Pianisten Hinrich Alpers verantwortete Einspielung dar, die auf zwei CDs das komplette überlieferte Liedschaffen sowie die Kammermusik präsentiert. Die Groteske für Geige und Klavier von 1911 galt als durch den Angriff zerstört; glücklicherweise wurden 1979 zwei Abschriften entdeckt. Agata Szymczewska präsentiert sich als Partnerin von Alpers als eine mit Spannung und gestalterischer Konsequenz begeisternde Geigerin.
Von Stephans Kammermusik ist nur die Musik für sieben Saiteninstrumente überliefert. Alpers, der diese CD-Einspielung als kongenialer Pianist prägt und der zudem das sehr informative Booklet verfasst hat, steuert für diese Besetzung eine eigene Fassung des Liebeszaubers für Bariton und Orchester bei. Das Fantastisch-Suchende ebenso wie das Expressive der Musik für sieben Saiteninstrumente ist bei Alpers und dem Kuss Quartett in besten Händen. Beim Liebeszauber kann der Bariton Hanno Müller-Brachmann bei exzellenter Textverständlichkeit das Stück fast musikdramatisch aufladen. Seine Ausdruckstiefe unterstreicht er zudem bei den Zwei ernsten Gesängen.
Die Sopranistin Tehila Nini Goldstein interpretiert den Zyklus Ich will Dir singen ein Hohelied… nach den Versen der Dichterin Gerda von Robertus sowie die Sieben Lieder nach verschiedenen Dichtern von 1913/14. Stephans Lieder kreisen, wie bei so vielen seiner Zeitgenossen, oft um die Themen Liebe und Tod. Goldstein verfügt über eine leicht ansprechende, in der Höhe abgerundete Stimme, deren gestalterische Kompetenz überzeugt. Ihre Textausdeutung und das farbenreiche Spiel Hinrich Alpers machen die CD zu einer Referenzaufnahme des überschaubaren Liedschaffens des mit 28 Jahren gefallenen Komponisten.
Walter Schneckenburger