Mamlok, Ursula
Rotations for cello and piano (2011)
Einerseits könnte man Ursula Mamlok eine Grande Dame der zeitgenössischen Klassik nennen. Schließlich komponierte die gebürtige Berlinerin vor nunmehr über siebzig Jahren als elfjähriges hochbegabtes Mädchen ihr erstes Stück, Wüstenritt. Andererseits, und das ist entscheidender, klingt Mamloks Musik nicht spätwerkhaft und erfahrungsschwanger, sondern feinsinnig, frisch und sinnlich. Die Musik muss die Art Energie ausdrücken, die mit der Jugend verbunden ist, wird Mamlok, die nach einer Flucht aus Nazideutschland die meiste Zeit ihres Lebens in New York verbrachte, in einem Band über amerikanische Komponistinnen zitiert.
Rotations ist ein schönes Beispiel für diese Attitüde. Obwohl es eine sehr komplexe Komposition ist, behält das Stück seine gleichzeitig vitale und verträumte Ausdrucksstärke in einem weiten dramaturgischen Bogen bei. Es ist Mamloks jüngste Komposition, ein dreisätziges Werk für Cello und Klavier, dessen Spieldauer gut zehn Minuten beträgt. Vor wenigen Monaten spielten Jakob Spahn und Holger Groschopp in Berlin, in dessen Neuer Musikszene die Komponistin derzeit sehr präsent ist, die Uraufführung des ihnen gewidmeten Stücks.
Der Titel deutet es schon an: Mamlok komponiert auch heute noch mit Zwölftonreihen und seriellen Techniken. Doch Rotations verweist auf noch mehr. Auch innerhalb der Reihen finden sich kleine Kreisbewegungen und der dritte Satz schließt mit einer Referenz auf den ersten den übergeordneten Kreislauf der Komposition.
Alle Sätze haben einen langsamen Puls, über den Mamlok im ersten Satz diffizile Rhythmen ausbreitet und ihr kontrapunktisches Geschick beweist. Der zweite Satz mit der Satzanweisung wie von Ferne ist das melodische Herzstück, ein reduzierter Dialog, der sich vom dreifachen Piano pizzicato con sordino ins glissandierende Fortissimo entwickelt. Der dritte Satz ist mit seinen regelmäßigen Achtelbewegungen und häufigen Taktwechseln eine eigenwillige Fließbewegung, die sich intensiviert und zum motivischen Beginn der Komposition zurückfindet.
Rotations ist wie die meisten zeitgenössischen Stücke eine technische und künstlerische Herausforderung an beide Instrumentalisten, die aber durchaus zu bewältigen ist. Mamloks Musik erfordert solides Können und Musikalität, ohne dabei ausufernde Virtuosität vorauszusetzen. Auch der schwierige erste Satz ist mit seiner Quintpräsenz cellistisch komponiert.
Vor dem Kauf der Noten sollte man allerdings eins überprüfen: Im Heftchen mit der Cellostimme sind derzeit noch zwei Seiten vertauscht abgedruckt. Boosey & Hawkes versicherte allerdings, die Cellonoten zu ersetzen und den Fehler damit zu beheben. Es wäre schade, wenn diese Formalie die Rezeption des Stücks schmälern würde, denn es ist schön und richtig, dass Ursula Mamlok in ihrer Heimat heute stärker rezipiert wird.
Vera Salm