Rossi’s 35 Selected Studies for String Bass
35 Selected Studies by Rodolphe Kreutzer, Phillipe Libon (Felipe Libon), Joseph Mayseder, Giovanni Batista Polledro, Ludwig Spohr und Pierre Rode
Mit diesem neuen Heft für Kontrabassisten wird die schon Jahrhunderte alte Globalisierung in der Musik deutlich, und es ist zugleich ein Stück Musikgeschichte aus dem Europa des 19. Jahrhunderts: Versammelt sind hier Komponisten aus Frankreich, Portugal, Österreich, Italien und Deutschland, dazu ein italienischer Bearbeiter, ein englischer Herausgeber und ein amerikanischer Verlag.
Doch der Reihe nach: Der italienische Kontrabassist Luigi Rossi wurde 1830 zum Professor an das Mailänder Konservatorium berufen, als Nachfolger seines Lehrers Andreoli. In Rossis Meisterklasse kam 1835 u.a. auch der junge Bassist Giovanni Bottesini, der als Komponist seinem Lehrer später drei große Duette für zwei Kontrabässe widmete. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte man noch vergleichsweise wenig Originalliteratur für Kontrabass. Es gab zu dieser Zeit auch noch keine fundamentale Schule, die das Lagenspiel verbindlich regelte. Die kam dann bekanntlich erst mit dem Österreicher Franz Simandl (1840-1912), der seit 1869 am Wiener Konservatorium lehrte und die Neueste Methode des Kontrabass-Spiels veröffentlichte. Die Geiger hatten es da wesentlich besser: Für sie wurden schon sehr früh zahlreiche Etüdenwerke veröffentlicht, die ganzen Generationen von Virtuosen als Grundmaterial zum Üben dienten.
Was machte Rossi in seiner pädagogischen Not? Er schaute sich die aktuellen Geigenhefte durch und bearbeitete sie für sein Instrument. Und so finden wir hier allein elf Etuden des Franzosen Rodolphe Kreutzer (1766-1831), die später noch mehrmals als Vorlage für den Bass dienen sollten. Zwölf weitere stammen aus der Feder des portugiesischen Violinisten Felipe Libon (1775-1838), der immerhin Schüler von Viotti war. Dreimal ist der Wiener Geiger und Komponist Joseph Mayseder (1789-1863) vertreten oder wie immer er wirklich hieß: Der Name ist nur ein Pseudonym. Eine sehr motorische Triolen-Etüde stammt von dem Italiener Giovanni Battista Polledro (1781-1853), der es bis zum Konzertmeister in Dresden gebracht hatte. Der Deutsche Ludwig Spohr (1764-1859) hat vier seiner Geigenetüden für dieses Heft beigetragen. Die restlichen vier stammen von Jacques Pierre Joseph Rode (1774-1830), einem Geiger, der viel in Europa reiste und sogar Konzertmeister am Petersburger Hof wurde.
Der Schwierigkeitsgrad der Etüden steigt im Verlauf des Hefts progressiv an, doch ist alles gut vorbereitet: Der Herausgeber, Thomas Martin, ehemaliger Solobassist beim London Symphony Orchestra und heute Professor an der Guildhall School of Music in London, hat praktikab-le Fingersätze hinzugefügt und macht sinnvolle Vorschläge für das Spiel in den Lagen. Natürlich sprechen die Etüden ganz unterschiedliche technische Problemfelder an: Bogenführung (bei Kreutzer mit mehreren Variationen), Tonbildung, Intonation, Beweglichkeit, Ausdruck, Verzierungen, aber auch Musikalität und Krafttraining. Das Übliche halt, was auch für die Geiger wichtig ist, findet man hier um Oktaven versetzt.
Nicht ganz so glücklich ist die Aufteilung des Hefts. Zweiseitige Etüden druckt man nicht auf zwei Seiten gegenüber, sondern so, dass man sie komplett im Blick hat: Will man nicht mitten im Spiel blättern, muss man eine Kopie von der nächsten Seite einkleben. Das ist ein wenig lästig. Ansonsten ist dieses Heft eine willkommene Bereicherung des Etüdenmaterials für die Bassisten. Sie sind ja trotz vieler Angebote heute noch immer auf der Suche nach etwas Spielbarem, das sogar etwas Spaß macht.
Wolfgang Teubner