Georg Friedrich Händel

Rinaldo

Accademia Bizantina, Ltg. Ottavio Dantone

Rubrik: CDs
Verlag/Label: HDB Sonus
erschienen in: das Orchester 03/2021 , Seite 69

Bereits bei der schwungvoll tänzerischen Ouvertüre ahnt man die überragende Qualität dieser Einspielung von Händels erster Londoner Oper. Die einschneidende Phrasierung gleitet nicht ins übersentimentale Legato, das andere Aufnahmen ins Schleppen bringt, eine Spannung, die alle drei Akte stets durchzieht. Die vom Dirigenten Ottavio Dantone klug aufbereitete kritische Ausgabe, welche sowohl die 1711 als auch die 1731 revidierte Fassung berücksichtigt, passt sich an die vorhandenen Stimmen an, strafft aber auch das Libretto. Die Rolle von Eustazio, Bruder des christ­lichen Generalkapitäns Goffredo, wurde gestrichen oder Goffredo selbst zugeordnet. Ausgewählte Rezitativ-Passagen, welche den dramatischen Ablauf sowieso kaum antreiben, fallen ebenso aus.
Rinaldo war die erste von einem britischen Theater beauftragte italienische Oper und wurde dem Geschmack der Zeit entsprechend ausschließ­lich mit italienischen Sängern besetzt. Der 26-jährige Komponist saß selbst am Cembalo bei Vorstellungen im Mai 1711, ein Ereignis, das laut dem in­formativen Beiheft von Bernardo Ticci zu Händels Lebzeiten zu Rinaldos großem Erfolg beitrug. In der Titelrolle trat der damals berühmte Alt-Kastrat Nicolò Grimaldi auf.
In dieser Liveaufnahme aus dem Teatro Sociale di Como überzeugen die Solisten einer nach dem anderen durch die virtuose, authentische Aus­führung der Partitur. Die Da-Capo-Teile der Arien – bei manchen Interpretationen die Zeit strapazierend – werden hingegen zu Höhepunkten durch zum Teil wagemutige, aber verlässlich geschmacksvolle Verzierungen.
Die Kontraaltistin Delphine Galou verkörpert den Ritter Rinaldo mit einer polierten hohen Lage und brennender Emotion, sodass ihr Umwer­ben von Goffredos Tochter Almirena durchaus glaubwürdig herüber­kommt. Der Rolle der Gelobten verleiht die Sopranistin Francesca Aspro­monte einen warmen Ton. Ihre berühmte Arie „Lascia ch’io pianga“ wirkt durch die scharf konturierte Begleitung der Accademia Bizantina fast stoisch. Als die kriegerische Zauberin Armida stößt Anna Maria Sarra ihre Nummer „Vo’ far guerra“ geschickt an die Grenzen der Hysterie. Dabei ist sie keine eindimensionale Figur, wirkt an manchen Stellen durch ihre nuancierten Klangfarben auch verletzlich. Der Kontratenor Raffaele Pe schmückt etwa die Arie „Mio cor, che mi sai dir?“ mit beeindruckender Koloratur als Goffredo. Überzeugend bösartig ist Bassist Luigi de Donato in der Rolle des Feindes, des Königs Argante, ungewöhnlich flexibel die Bassstimme von Federico Benetti als christlicher Magier.
Zu siegreichen Trompeten marschiert Rinaldo voran. In dieser Version des Librettos können Armida und Argante ihre Leben nur retten, indem sie seiner Religion beitreten. Aber Rinaldo ist vor allem eine Liebesgeschichte, in welcher zwei Paare miteinander vereint werden, eine zeitlose, spirituelle Aussage, welche die sinnliche aber zurückhaltende Aufführung hier ideal einfängt.
Rebecca Schmid