Frieder Reininghaus

Rihm

Der Repräsentative

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Königshausen & Neumann
erschienen in: das Orchester 6/2022 , Seite 66

Das Cover des neuesten Buchs von Frieder Reininghaus, auf dem einem Wolfgang Rihm fast wie Beethoven entgegenblickt – heroisch, pessimistisch –, täuscht. Rihm. Der Repräsentative lautet der Titel; doch der Untertitel verrät, es geht um mehr, um „Neue Musik in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland“.
Wolfgang Rihm, geboren am 13. März 1952 in Karlsruhe, ist einer der repräsentativsten wie erfolg-
reichsten Komponisten der Bundesrepublik Deutschland, längst eine Institution und bestens vernetzt im Musikbetrieb des Landes – ja, er ist fast so etwas wie „der Hofkomponist der Bundesrepublik“. Mehr als 400 Kompositionen hat der komponierende Hochschullehrer bisher hinterlassen. Das zu seinem siebzigsten Geburtstag beispiellos gefeierte Gotteskind mit humanistischer Bildung und Störenfried trotz Traditionsbindung ist ein eloquenter Gesprächspartner und feiner Mensch.
Der von Reininghaus zitierte Urs Ringer hat es in der Neuen Zürcher Zeitung auf den Punkt gebracht: „Wer zu seiner Musik keinen Zugang finden sollte – die Person muss man mögen.“ Und es findet wirklich nicht jeder einen Zugang zur allzu klugen Musik Rihms, von der der Komponist bekennt: „Ich brauche meine Musik zur Ich-Entfaltung. Dort verarbeite ich meine Probleme.“ Immerhin.
Reininghaus hat mit seiner kenntnisreichen Studie eine brillante Rihm-Monografie vorgelegt, die auf Selbstauskünften Rihms, seinen Anmerkungen zu den eigenen Musikanschauungen und Werken (die im Buch ebenfalls dargestellt werden) sowie „seinen gelegentlichen Polemiken“ basiert. Als Quellen dienten Frieder Reininghaus, einer der renommiertesten Musik-Journalisten Deutschlands, zahlreiche eigene Rundfunkbeiträge sowie Zeitungs- und Zeitschriftentexte, die der Autor zu einzelnen Arbeiten und Aspekten des Schaffens von Rihm in vier Jahrzehnten veröffentlichte. Eigene Begegnungen und Erfahrungen mit Person und Werk werden in Erinnerung gerufen, auch aus den Briefen Rihms wird zitiert. In erster Linie geht es Reininghaus darum, „sich dem Repräsentativen anzunähern“, das Wissen über ihn zu sichten, zu bündeln, zu gewichten und zu portionieren – die Würdigungen und Lobreden ebenso wie ästhetische Bedenken und Einwände.
Das Buch von Reininghaus ist ein klug strukturierter „Parcours durch Werk und Leben Wolfgang Rihms“, in sieben chronologische „Zeitfenster“ gegliedert, von 1979 bis zur Gegenwart. Ein aufs Inhaltliche und Wesentliche zielendes Rihm-Panorama, das wichtige Werke erklärt und über den Komponisten und seinen Lebenslauf nicht nur informiert, sondern ihn auch einordnet in seine Zeit und Kultur.
Zahlreiche (rare) Fotos und Abbildungen, Literatur- und Quellenverzeichnis, Personen-, aber auch Sachregister machen den nützlichen Wert der mit spitzer
Feder und aus kritischem Geist verfassten Monografie aus. Sie lohnt die Anschaffung.
Dieter David Scholz