Braam, Gunther
Richard Wagner in der zeitgenössischen Fotografie
Wer nach den gefühlt mehreren hundert Neuerscheinungen im Wagner-Jubiläumsjahr 2013 ermattet hingesunken ist, darf jetzt aufwachen: Es gibt ein neues Wagner-Buch, das tatsächlich etwas Neues bietet und so exzellent gemacht ist, dass es nicht nur für Wagnerianer ein Muss ist. Gunther Braam präsentiert in dem Bildband Richard Wagner in der zeitgenössischen Fotografie chronologisch sämtliche 68 Aufnahmen des Dichterkomponisten und stellt sie in den Kontext der frühen Porträtfotografie, was natürlich nicht nur in Bezug auf Wagner aufschlussreich ist. Aus der Sicht der heutigen Bilderflut samt Selfies kann man sich kaum noch vorstellen, was das Aufkommen der Daguerreotypie und der später gebräuchlichen Albuminabzüge nach Glasnegativen bedeutete und wie schwierig das Stillsitzen beim Fotografen war, zumal für einen Zappelphilipp wie Wagner!
Dass er sich dem neuen Medium nach anfänglicher Zurückhaltung ausgiebig widmete der Autor beschreibt das jeweilige Zustandekommen der Fotos akribisch und überraschend ausführlich , lag für den PR-Fachmann, der Wagner in eigener Sache stets war, auf der Hand. Anders als die Standardwerke von Martin Geck und Solveig Weber aus den Jahren 1970 bzw. 1993 zeigt Braam im 89-seitigen Katalogteil alle bekannten und überlieferten Fotografien durchgehend farbig, zumeist in Sepia-Tönen reproduziert, darunter in Erstveröffentlichung eine stereoskopische Gruppenaufnahme der Familie auf der Gartentreppe von Wahnfried. Und er dokumentiert auf Klapptafeln ganze Aufnahmesitzungen, die den Blick fürs Detail schärfen, ob es nun der Gesichtsausdruck, die Haltung, die Kleidung oder die Ausstattung im Atelier des Fotografen ist.
Aus der 31-seitigen Einleitung erfährt man neben dem fotohistorisch und technisch Notwendigen vor allem auch, warum und wie sich andere berühmte Zeitgenossen Wagners ins Bild setzten. Der immerhin 85 Seiten starke Anhang mit den unterschiedlichsten Formen der Verbreitung dieser Fotografien samt Cosimas privatem Wagner-Album lässt erahnen, welch ein Jammer es ist, dass sich der ursprüngliche Plan des Autors und Sammlers Braam, nämlich alle überlieferten Porträts zu dokumentieren, also auch Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken, Büsten und Karikaturen, die zu Lebzeiten Wagners entstanden oder veröffentlicht wurden, nach dem ungeplanten Verlagswechsel mangels sicherer Finanzierung nicht verwirklichen ließ. Umso mehr ist der eingesprungene Verlag ConBrio dafür zu loben, dass er dem zwar abgespeckten Projekt auf 228 Seiten mit 230 Farbabbildungen drucktechnisch größtmögliche Qualität und Sorgfalt angedeihen ließ. Kein Wunder, dass Wagner-Urenkelin Eva Wagner-Pasquier, die Erste unter den Unterstützern dieses Buchs, in ihrem Geleitwort vom 22. Mai 2015 begeistert schreibt, dass der Betrachter geradezu animiert werde, selbst aktiv zu werden und Richard Wagner, in verschiedenen Konstellationen, mit sich selbst in Dialog treten zu lassen.
Monika Beer