Landmann, Ortrun / Wolfgang Mende / Hans-Günter Ottenberg (Hg.)
Richard Wagner Kgl. Kapellmeister in Dresden
Der durchschlagende Erfolg des Rienzi in Dresden war der Anlass, dass man Richard Wagner die Stelle des Königlichen Kapellmeisters der sächsischen Wunderharfe anbot. Was es mit dem wunderbaren Dresdner Orchesterklang auf sich gehabt habe zu Wagners Zeiten, erklärt Eckart Haupt am Beispiel der Flötisten dieses Orchesters, die sich der einfacher zu spielenden modernen Ringklappenflöte verweigert hätten zugunsten der traditionellen Flöten Anton Bernhard Fürstenaus, deren Kolorit-Eigenschaften in idealer Weise den Klangvorstellungen Wagners entsprochen hätten.
Einen Blick über den Dresdner Tellerrand wagt Helmut Loos. Sein Vergleich der beiden grundverschiedenen sächsischen Hofkapellmeister, die paradoxerweise
im gewissermaßen falschen städtischen Umfeld wirkten, der fortschrittliche, revolutionäre Wagner im höfischen Dresden, der konservative Mendelssohn im bürgerlichen Leipzig, ist aufschlussreich, denn er wirft ein bezeichnendes Licht auf den unbescheidenen, ja anmaßenden Wagner, der mit seinem Entwurf der Reform der Königlichen Kapelle scheiterte, wohingegen der finanziell unabhängige, noble Mendelssohn für das Gewandhausorchester bedeutende Etataufstockungen erreichen konnte.
Wagners folgenreiche Erfahrungen als Kapellmeister in Dresden bilden den einen Schwerpunkt des äußerst lesenswerten Tagungsbandes des Dresdner Wagner-Symposiums 2013, ein anderer widmet sich dem Dresdner Komponisten Wagner. Von Wolfgang Fuhrmann erfährt man beispielsweise sehr Erhellendes über die Entwicklung von Wagners Erinnerungs- und Leitmotivtechnik in Dresden.
Spuren nach 1948 ist das Schlusskapitel überschrieben. In seinem Schlussbeitrag Um einen marxistischen Wagner von innen bittend hat Boris Kehrmann mit Bienenfleiß Archive und Bibliotheken durchforstet, um die intellektuellen wie theaterpraktischen Anstrengungen aufzuspüren und darzustellen, die die Kulturfunktionäre und Wagner-Autoren der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der späteren DDR unternahmen, um Wagner ihrem sozialistischen Erbe einverleiben zu können.
Doch Kehrmann geht zu weit, wenn er behauptet, dass das heute vorherrschende Wagner-Bild maßgeblich von den Wagner-Autoren der DDR geprägt worden sei. Auch außerhalb der DDR hatten Wagner-Forscher und -Kenner längst einen marxistischen Wagner entdeckt, ohne angestrengt nach oben buckeln und von innen bitten zu müssen. Die Kenntnis der Schriften Wagners, seiner Briefe vor allem und die Cosima-Tagebücher lassen gar keine andere Deutung zu. So lesenswert und präzise Kehrmanns Abriss der Wagner-Rezeption in der SBZ bzw. DDR ist, so fragwürdig ist seine polemisch-provokative Schlussbemerkung, dass heute ein anderes Wagner-Bild als das des jungen revolutionären Wagner wohl unerwünscht sei. Selbst der renommierteste DDR-Wagner-Autor Hans Mayer hat doch darauf hingewiesen, dass man nur den ganzen Wagner, also den jungen Dresdner wie den alten Bayreuther, als den wahren Wagner betrachten dürfe.
Dieter David Scholz