Lütteken, Laurenz
Richard Strauss. Musik der Moderne
Laurenz Lüttekens Strauss-Buch ist, wie der Autor im Vorwort schreibt, ein umfangreicherer Essay, als Versuch im eigentlichen Wortsinn. Dabei geht es ihm um eine Gesamtsicht, die das Leben und Umfeld ebenso einbezieht wie die Werke. Der Leser kann sich am Anfang des Buchs anhand einer umfangreichen Zeittafel orientieren. Überhaupt ist es ein hilfreiches Nachschlagewerk: So gibt es eine Zusammmenstellung der frühen Werke, eine Chronologie der Lieder, eine Liste der von Strauss vertonten Dichter oder der von ihm dirigierten Uraufführungen eigener und fremder Kompositionen.
Die Länge des Lebens von Richard Strauss, die Umwälzungen, die er erlebte, vom bayerischen Königtum, Deutschen Kaiserreich, Ersten und Zweiten Weltkrieg, Weimarer Republik, NS-Diktatur bis zur Trümmerzeit nach 1945, die Fülle seiner Werke lassen die Form des Buchs, das sich auf einzelne Fragestellungen konzentriert, als sinnvoll erscheinen. Im Bereich der Biografie handelt Lütteken die Jugend von Strauss unter dem Gesichtspunkt Zwischen Patriziat und Aristokratie ab, widmet ein Kapitel der Karriere von Strauss als Dirigent und ein weiteres dem Verhältnis von Musik und Wirklichkeit. Lütteken geht es bei der Verflechtung von Richard Strauss mit dem NS-Regime nicht um eine Be- oder Verurteilung, sondern um den Versuch einer objektiven Darstellung. Die anderen Kapitel sind den einzelnen Werkbereichen von Strauss gewidmet. Dabei stellt er für Strauss wesentliche Fragen in den Vordergrund, wie zum Beispiel Inspiration und kompositorisches Handwerk, Abgrenzungen von Wagner und Die plastische Antike.
Als Leitfaden dient dem Buch das im Untertitel genannte Leitthema: Musik der Moderne. Dabei sieht Lütteken die Modernität von Richard Strauss in der Abkehr von der Vorstellung, dass Musik autonom ist und dass sie metaphysische Wahrheiten verkörpert, sondern dass sie Teil ihrer Zeit, eine Form von Sprache und in die plastische Welt der sozialen Verhältnisse, in die Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts entlassen worden ist, wie er schreibt. Er sieht deshalb Strauss als Komponisten einer anderen Moderne. Für den Leser ist dies nicht so leicht nachvollziehbar, da Lütteken einfache und klare Aussagen scheut, vielmehr seine wichtigen Gedanken in komplizierte Sätze verpackt, was sein Buch ziemlich leseunfreundlich macht. Doch abgesehen davon: Die Frage nach der Modernität ist kein Grundpfeiler, der ein ganzes Buch über Richard Strauss tragen kann. Der Komponist selbst wandte den Begriff Moderne, der in seiner Zeit häufig benutzt wurde, nicht auf seine eigene Musik an, bevorzugte vielmehr die Frage, was das Neue in ihr ist. Die Diskussion, ob und wie die Musik von Richard Strauss zur Moderne gehört, tritt aus der Distanz des 21. Jahrhunderts in den Hintergrund. Was zählt und warum die Werke von Strauss heute noch gespielt werden, ist die Frage, was das Besondere in seiner Musik ist und warum sie noch heute die Menschen anspricht.
Franzpeter Messmer