Christian Thielemann

Richard Strauss

Ein Zeitgenosse

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: C.H. Beck, München
erschienen in: das Orchester 5/2025 , Seite 69

Das Glitzernde, Schillernde, leicht Schwebende fasziniere ihn an der Musik von Richard Strauss, schreibt Christian Thielemann. Von den ersten Seiten an liest sich sein Buch wie eine Liebeserklärung an den Komponisten, sehr persönlich getragen von sublimer Kennerschaft.
Der Autor schwärmt über seine Vorlieben, erläutert, warum einige Stücke schwer zu dirigieren sind, und verteidigt den Komponisten gegen fragwürdige Vorurteile.
Weil er die moderne Tonsprache seiner Zeit ignorierte, nur in seinen Einaktern Salome und Elektra an die Grenzen der Tonalität ging, trifft Strauss vielfach der Vorwurf des Eklektizismus. Souverän stellt Thielemann diesem Einwand einen gänzlich anderen Begriff von Modernität entgegen, wenn er argumentiert, Strauss habe die „Gefahren der Atonalität“ und der „Intellektualisierung der Musik“ erkannt und seinen „eigenen, neuen Stil“ kreiert: „Er jongliert mit den Jahrhunderten und Stilen, einfach weil sie für ihn verfügbar sind.“
Allerdings hebt der Pultstar auch die Verantwortung von Dirigentinnen und Dirigenten hervor, die Musik vor Anflügen ins Kitschige zu bewahren. Bei Strauss müsse man „gegen jede Süßlichkeit andirigieren, um die Süße der Musik zur Geltung zu bringen.“
Nur ein fundamentales Vorurteil, das noch dazu seine Lieblingsoper betrifft, nimmt der Autor erstaunlicherweise nicht unter die Lupe: Hartnäckig hält sich in der heutigen Opernkritik die Annahme, dass Die Frau ohne Schatten frauenfeindlich sei, weil das Stück die Mutterschaft verherrliche. Eine solche vordergründige Interpretation steht bei Thielemann freilich nicht zu befürchten. Richtig schreibt er, dass es vor allem um Menschlichkeit geht. Die Leserinnen und Leser erfahren jedoch nicht, dass die Mutterschaft als eine Metapher für die Menschwerdung der Titelheldin dient. Das ist ein bisschen schade.
Mit der Salome verbindet ihn eine Hassliebe. Alles, was in dieser Oper über das Forte hinausgehe, ist für ihn „ein Kampf“. Oft sei er nach den Vorstellungen unzufrieden gewesen.
Beim Publikum mag die Wahrnehmung eine andere sein. Insofern regt sich bei der Lektüre bisweilen auch Widerspruch. Aber alles in allem finden sich im Buch wenige Stellen, über die man stolpert. Es offeriert vielmehr ein Füllhorn an Weisheiten. Wie sich sprachlich Poesie mit flapsiger Berliner Schnauze verbindet, zeugt von einem ganz eigenen Charme. Richard Strauss. Ein Zeitgenosse bietet eine ebenso unterhaltsame wie erkenntnisreiche Lektüre, sympathisch persönlich in den Bekenntnissen und farbenreich wie die Musik des Komponisten.
Kirsten Liese