Berlioz, Mahler, Debussy und anderen

Rhythm & Colours

Berliner Philharmoniker, Ltg. Simon Rattle

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Warner Classics
erschienen in: das Orchester 10/2017 , Seite 68

Nach der schmackhaften Häppchenkost vom vergangenen Jahr, die auf drei CDs den Sound der Berliner Philharmoniker zum Hörgenießen feilbot, serviert Warner Classics nunmehr ein siebenteiliges Vollwertkostmenü in einer Pappbox. Ging es damals mit Klassik, Filmmusik und Rap quer Beet, huldigt man nunmehr jener Mischung aus „Rhythm & Colours“, aus der über die Jahre das unverwechselbare Markenzeichen für die Rattle-Ära (2002-2018) geworden war. Und so dokumentiert diese Box ausschließlich großsinfonische Wer­ke von Komponisten, die an der Nahtstelle von Romantik und Moderne liegen und für Rattle von besonderem Interesse waren und sind.
Größtenteils handelt es sich dabei um Konzertmitschnitte aus dem Scharoun-Bau, die dank brillanter Tontechnik auch viel von der jeweiligen Saalatmosphäre mit eingefangen haben. Wie bei jener 5. Sinfonie von Gustav Mahler – eine gedankentief ausgelotete und dynamisch extrem gefächerte Welt- und Lebensbeschau zwischen aufgeheizt und entsagungsvoll, klar strukturiert, detailreich und klangschlank musiziert. Nicht weniger transparent, gestalterisch perfekt und voller Intensität enthüllen die Musiker sowohl in der Symphonie fantastique als auch in der von Susan Graham (Mezzo) expressiv ausgedeuteten lyrischen Szene La Mort de Cléopátre von Hector Berlioz ein von schwelgerischen Träumereien bis zum grotesken Hexensabbat nur so überquellendes Seelenpanorama. Aufgenommen im legendären Aufnahmestudio der Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem. Nicht weniger faszinierend das impressionistisch schillernde und sinnenglühende Klanggewebe, in dem sich der lüsterne Faun (Emanuel Pahud, Flöte) mit seinen Nachmittagsträumen wohlig räkelt, während die betörende Stimmungsmalerei La Mer der Debussy-CD zusätzlich ein ganz besonderes Flair verleiht. Mit dabei auch die klar und amüsant musizierte La Boîte à joujoux-Geschichte um Puppen, die in einer Spielzeugschachtel lebendig werden. Ebenfalls begeisternd die opulente Klangentfesselung in Gustav Holsts Planeten-Suite mit ihren monumentalen Klangeffekten für die gefühlsgesättigte Mesalliance aus römischen Götter- und Planetennamen.
Genauso elektrisierend der Eindruck vom Konzertmitschnitt von Igors Strawinskys Le Sacre du printemps: eine laszive, rhythmisch orgiastische, klangfarbenintensive und von flirrender Ekstase nur so strotzende Frühlingsweihe. Dagegen nimmt sich das Ballett Apollon musagète mit seinem betont klassizistischen Charme geradezu als Klangantipode aus. Mit äußerst rhythmischer Akkuratesse lässt Rattle nicht nur die Berliner Philharmoniker den Carmina Burana-Hit des Carl Orff musizieren, sondern auch durch den Rundfunkchor Berlin ganz exzellent singen. Träge rollt der Ochsenkarren in Modest Mussorgskys Bildern einer Ausstellung heran, quirlen die Kinder in den Tuilerien, entfaltet das Große Tor von Kiew seine funkelnde Pracht – ergänzt um Alexander Borodins 2. Sinfonie und dessen feurige Polowetzer Tänze aus Fürst Igor. Schade nur, dass der Box ein Booklet fehlt.
Peter Buske