Rhapsody

Rubrik: Noten
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Der griechische Komponist Mikis Theodorakis (*1925) gehört zu den Erfolgskomponisten seiner Heimat. Der politisch engagierte Kämpfer für die Freiheit seines Landes erhielt u.a. in Paris bei Olivier Messiaen seinen letzten Feinschliff. Die französische Hauptstadt war in den 1950er Jahren ein Mekka für junge Komponisten aus aller Welt – vor allem auch aus Osteuropa. Theodorakis’ aus dem Volksgut seiner Heimat schöpfende Musiksprache wurde in jenen Jahren westlich verfeinert. Traditionelle Gattungen wie Oper, Ballett, Suiten, Klavierkonzert oder Streichquartett spielen bei ihm eine große Rolle. Seine Partituren sind stets brauchbar für übliche Ensemblebesetzungen und Sinfonieorchester, sie sind im Grunde alltagstauglich.
Das gilt auch für seine 2009 komponierte Rhapsodie für Streichorchester, die nun im Schott-Verlag erschien. Die 45-minütige Komposition ist für ein Werk dieser Gattung ungewöhnlich lang, bestreitet allein schon eine ganze Konzerthälfte. Kammerorchester werden sie dennoch schnell ins Herz schließen, denn das neoklassisch anmutende Stück mit folkloristischem Touch enthält sehr dankbare Musik. Wie immer herrscht bei Theodorakis das Melos vor. Oft führen die ersten Violinen die Melodie an, geben sie nur selten an die tieferen Instrumente ab. Das Werk ist einsätzig, aber in unterschiedliche Abschnitte geteilt. Es herrschen meist langsamere Tempi und eine mittlere Dynamik vor, das gibt der Musik eine poetische Grundstimmung. Zauberhafte lyrische Einfälle wie eine wiegende h-Moll-Melodie im 6/8-Takt gehen ins Ohr.
Die Tonalität – das Stück beginnt und endet in d-Moll/D-Dur – wird durch alterierte Akkordtöne fremdländisch koloriert. Griechische und byzantinische Tonsysteme mögen dafür Pate gestanden haben, ebenso für den gelegentlich asymmetrischen Taktwechsel. Einen Hinweis darauf, dass dieses Werk in Richtung Liederzyklus tendiert, gibt die im zweiten Teil in Abschnitten notierte Singstimme (Mezzo oder Bariton). Sie kann ad libitum hinzutreten, ist für das musikalische Verständnis jedoch nicht zwingend notwendig. Der Vokalpart verdoppelt die Melodie führende Streicherstimme.
Der griechische Text stammt vom Dichter Dionysios Karatzas, mit dem Theodorakis bereits zusammenarbeitete. Worum es im Text geht, bleibt dem des Griechischen nicht mächtigen Hörer und Leser der Parti­-tur allerdings verborgen. Der für den internationalen Markt bestimmte Notentext bietet keine englische Übersetzung an. Insofern muss man annehmen, dass die Texte eher eine geheimnisvolle zweite Ebene der Rhapsodie bilden, deren Sinn allen Nicht-Griechen verborgen bleiben soll. In diesem Sinn kreiert Theodorakis mit diesem Werk auch eine Art „Rhapsodie ohne Worte“.
Matthias Corvin