Bartók, Béla / Miklós Rózsa / Ferenc Farkas
Rhapsodie
Eine originelle Programmauswahl hat der Oboenvirtuose Lajos Lencsés, bis 2010 Solo-Oboist im Radiosinfonieorchester Stuttgart, für sein nobles Recital getroffen. Reizvoll allein schon, weil er ausschließlich ungarische Komponisten interpretiert. Wobei man neben alten Bekannten wie Béla Bartók, Ferenc Farkas und György Kurtág auch Namen begegnet, die bei uns kaum bekannt sind, wie Sandór Balassa oder Sáry Vater und Sohn.
Dass Miklós Rózsa (1907-1995), der früh in die USA ging, eine Filmmusikgröße in Hollywood war (Ben Hur, Der Dieb von Bagdad), wusste man allenfalls. Eine Solosonate für Oboe, die den Hörer dreizehneinhalb Minuten in Atem hält, hätte man ihm nicht unbedingt zugetraut. Die drei Sätze dieses Spätwerks rhapsodisch der erste, elegisch der zweite, kapriziös der dritte sind feine Charakterstudien des Blasinstruments, wobei Bewegungsarten und Physiognomien durchaus changieren. So gibt sich der Kopfsatz mal melodienselig, mal tänzerisch. Im gesanglichen Andante tritt unversehens ein Puppentanzmotiv auf. Das abschließende Allegro con spirito sprudelt nur so von verspielten, tanzvergnügten Einfällen. Pentatonik und markante Akzentuierungen schaffen ein magyarisches Flair. Wie geschaffen für den Ungarn Lajos Lencsés.
Bartóks Drei Volkslieder aus dem Komitat Csik (1907), ursprünglich für Klavier allein, sind eine frühe Reverenz an die eigene Heimat Transsylvanien. In der hier gewählten Duo-Fassung übernimmt ein Zimbal den Klavierpart.
Im Beiheft nennt Lencsés das Erinnerungsstück Ricordanze für Englisch Horn und Streichtrio von Ferenc Farkas (1905-2000) zu Recht ein spätes Meisterwerk. Klare Strukturen und lichte Farbigkeit verweisen auf dessen Lehrer Ottorino Resphigi. Die Atmosphäre des Stücks erinnert mich stellenweise sogar an Schönbergs Streichsextett Verklärte Nacht.
Die Sommertags-Impression Nyári Intermezzo des 1935 geborenen Sándor Balassa aufgehende Sonne, Pastorale, Sturmepisode, Abgesang erscheint wie ein Abbild des flüchtigen Menschenlebens. Wozu der tönende Nachruf passt, den György Kurtág dem bekannten ungarischen Musikwissenschaftler György Króo nachsandte (der über Bartók, Liszt, Schumann, Mahler und Strauss schrieb), gefügt aus Tonleiter- und Melodiefragmenten.
Eigens für die Sopranistin Krisztina Jónás und Lajos Lencsés komponierte Bánk Sáry (*1973) den Liederzyklus Chorus auf Gedichte des ungarischen Lyrikers László Nagy (1925-1978): kahle Zwiegesänge über leider nicht abgedruckte, doch inhaltlich skizzierte Texte. Der Erste preist das reinigende, alles verzehrende Element Feuer. Im schlichten Zweiten folgt die Oboe wie ein Schatten den Spuren eines Blumenmädchens. Das abschließende Chorus-Gedicht ist ein zarter Hymnus an die opferbereite Liebe.
Das Recital endet mit einer wortlosen Invocáció (Anrufung) für Oboe und Streichquartett von Lászlo Sáry (*1940), dem Vater von Bánk Sáry. Die Streicher betten den Bläser auf einen aparten Klangteppich. Auf ihm ruhend, sendet er seine melodische Klage zu den Göttern.
Lutz Lesle