Mahler, Gustav

“Resurrection”

Rubrik: CDs
Verlag/Label: EMI Classics 50999 6 47363 2 7
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 77

Zu der Fülle der Mahler-Aufnahmen gesellt sich hier eine weitere seiner 2. Sinfonie, der man (bewundernswerte Technik) überhaupt nicht anmerkt, dass es sich um einen Konzertmitschnitt (vom Oktober 2010) handelt. Die Qualität der Wiedergabe ist bei solchen Ausführenden natürlich über jedes Lob erhaben. Das Orchester spielt, wie man es kennt, kraftvoll, geschmeidig, nuancenreich und klangschön, wo es angebracht ist, großflächig, voller Innenspannung sowie aufs Feinste abgestuft in der Dynamik, Agogik und Artikulation. Mehr dazu zu sagen, erübrigt sich. Alles Weitere fällt in den Bereich subjektiver Auffassung, die bekanntlich gerade bei Mahler sehr stark differieren kann.
I. Satz: Rattle nimmt das Tempo relativ gemäßigt (24’14 Min.; zum Vergleich: bei Solti sind es 21’15 Min.). Das korreliert mit kontrapunktischer Deutlichkeit, klanglicher Differenzierung, breiten Flächen und kräf-
tigen Steigerungen. Kontraste lösen sich oft zum betont Lyrischen hin auf und das für Mahler kennzeichnende brüchig Moderne wird eher heruntergespielt. Einige eigenwillige Zäsuren und Verzögerungen lassen den Satz eine Spur zu verhalten erscheinen.
II. Satz: Die Anweisung „Sehr gemächlich“ wird fast in Richtung stiller, gemütlicher Idyllik verschoben, unterstützt durch apostrophierendes Absetzen und kleine Zwischenritardandi, die Mahler nicht vorsah.
III. Satz: Der scharfe Schlag am Anfang täuscht. Wieder ist das Tempo relativ langsam (Länge 11’32 Min., bei Solti 10’14 Min.), was durch die Vorgabe „In ruhig fließender Bewegung“ zunächst legitimiert erscheint. Das verarbeitete und radikalisierte Wunderhorn-Lied „Des Antonio von Padua Fischpredigt“ wird allerdings in seinem Gehalt nur andeutend aufgegriffen. Mahler empfand die Sechsachtelmotivik als Sinnbild des sinnlos um sich kreisenden alltäglichen Lebens und durchsetzte sie mit harmonischen und instrumentalen Schärfen, die in der Aufnahme nur schwach unterstrichen werden.
IV. Satz: Magdalena Kožená singt die Altpartie des Liedes „Urlicht“ mit auch in der Tiefe angenehmem Timbre. Aber ihr mitunter etwas rasches Vibrato passt vielleicht nicht immer zu Mahlers Anweisung „Sehr feierlich, aber schlicht (choralmäßig)“.
V. Satz: Das 35-minütige, vielgliedrige Finale kann als erstaunlicher Höhepunkt der Interpretation dieses Riesenwerks durch Rattle angesehen werden. Große, gelungene Steigerungen, spannungsvoll durchgehaltene breite Flächen, intensive, wie der irdischen Welt entrückte Marschrhythmen, erschütternde prophetische Rufe und die gewaltige Ruhe einer durchglühten Endzeitstimmung bereiten die Auferstehens-Verse Klopstocks vor, die der Rundfunkchor Berlin (Einstudierung Simon Halsey) wunderbar plastisch aus dem anfänglichen dreifachen Pianissimo heraus entwickelt. Kate Royal mit ihrer in allen Lagen ausdrucksvoll geführten Sopranstimme und Magdalena Kožená im Duett mit ihr ergänzen den großartigen Eindruck dieses vielgestaltigen und kontrastreichen Schlussteils, der trotz seiner Länge wie aus einem Guss dasteht und wohl jeden empfindsamen Hörer überwältigen wird.
Peter Schnaus