Gounod, Charles / Antonín Dvorák
Requiem / Messe in D
Hye-Lin Lur (Orgel), Rundfunkchor Berlin, Polyphonia Ensemble Berlin, Ltg. Risto Joost
Oratorienchöre hatten schon immer Schwierigkeiten, für ihre Aufführungen die nötigen Orchester zu finden und zu finanzieren. Deshalb gebot und gebietet heute nicht minder die Praxis, sich nach alternativen Versionen umzuschauen, Klavier zu zwei oder vier Händen etwa oder, bei geistlichen Werken, mit Orgel. Rechtefreiheit der Werke vorausgesetzt, beauftragen findige Verlage deshalb entsprechende Bearbeitungen oder finden vom jeweiligen Komponisten autorisierte oder sogar selbst angefertigte Reduktionen. Die Chöre greifen mit Recht dankbar zu.
Um solche Arrangements handelt es sich bei der vorliegenden Einspielung. Charles Gounod hatte für sein 1894 posthum in der Pariser Madeleine mit üppigem Orchester triumphal uraufgeführtes Requiem in c noch eine Bearbeitung für Soli, Chor und Orgel begonnen, eine Idee, die nun der renommierte Freiburger Organist Zsigmund Szathmáry in die Tat umgesetzt hat. Antonín Dvorák dagegen schrieb seine 1887 in privatem Rahmen uraufgeführte D-Dur-Messe op. 86 zunächst mit Orgelbegleitung; erst fünf Jahre später setzte er den großen sinfonischen Apparat hinzu, mit dem das Werk auch bekannt wurde. Die klangschöne Einspielung mit dem Berliner Rundfunkchor stellt nun eine dritte Alternative mit einem von Joachim Linckelmann arrangierten Bläserquintett vor eine schöne und vertretbare Reminiszenz an den bläserfreundlichen, böhmischen Tonfall des stets sorgfältig und farbig instrumentierenden Komponisten. Für die Mikrofone problemlos, werden große Chöre in der Praxis eine Balance mit den nur fünf Musikern (hier: das aus Mitgliedern des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin bestehende Polyphonia Ensemble) finden müssen.
Aufführungspraktische Fragen wirft die recht statisch und unelegant wirkende Gounod-Interpretation auf. Der Chor, immerhin ein herausragendes professionelles Ensemble, beginnt nach einem kurzen, chromatisch nach unten führenden Orgelvorspiel. Der Chorsatz schichtet sich stimmenweise, ebenfalls chromatisch, nach oben. Spätestens beim Tenoreinsatz stimmt jedoch die Intonation nicht mehr; immer wieder (besonders krass im Recordare) geht es haarscharf unter der Orgeltonhöhe entlang. Ein Problem, das bis zum Ende nicht gelöst wird und bei Dvorák nicht auftritt. Haben Chorleiter Risto Joost und der Tonmeister dieses Manko nicht bemerkt? Gab es Schwierigkeiten mit der Aufstellung in der Pauluskirche, mit dem Hören der bis aufs Dies Irae insgesamt recht dezent und bescheiden klingenden Orgel? Oder wurde gar overdubbed? Falls es sich beim Aufnahmeort um die Pauluskirche in Berlin-Zehlendorf handelt (das Booklet wird nicht konkret), hätte immerhin ein großes, das heißt: farbenreich disponiertes französisch-romantisches Instrument aus Karl Schukes Werkstatt zur Verfügung gestanden.
Andreas Bomba