Wolfgang Amadeus Mozart

Requiem d-Moll

Genia Kühmeier (Sopran), Elisabeth Kulman (Mezzosopran), Mark Padmore (Tenor), Adam Plachetka (Bassbariton), Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Mariss Jansons

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: BR Klassik
erschienen in: das Orchester 5/2024 , Seite 71

Über Mozarts unvollendetes Requiem ist viel geschrieben und noch mehr geredet worden. Das meiste davon klingt romanhaft, ja geradezu fantastisch. Die Entstehungsgeschich-
te und überstürzte Vervollständigung
der Partitur durch die Mozart-Freunde und Kollegen Joseph Eybler und Franz Xaver Süßmayr gab Anlass zu vielerlei Spekulationen und Nachbesserungen. Revisionen gab es bereits im 19. (etwa von Sigismund von Neukomm in Rio de Janeiro) und erst recht im 20. Jahrhundert: Franz Beyer oder Robert Levin sind hier nur die bekanntesten Bearbeiter, Richard Maudner ist der radikalste, der ganze Süßmayr-Teile strich oder ersetzte. Auch der Musikforscher H.C. Robbins Landon erstellte eine Neufassung und orientierte sich dabei an Eyblers Entwurf. Ein Ende ist nicht abzusehen, und egal, in welcher Form: Mozarts Requiem dürfte mit Abstand die am häufigsten aufgeführte musikalische Totenmesse überhaupt sein.
Der 1943 in Riga geborene und 2019 in St. Petersburg verstorbene Dirigent Mariss Jansons, der auf der ganzen Welt zuhause war, aber hauptsächlich in Oslo, Pittburgh, Amsterdam, Wien und zuletzt in München wirkte, interpretierte Mozarts klingenden Abschied von der Welt 2017 mit dem Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks. Der Live-Mitschnitt ist nun als CD nachzuhören. Jansons hält sich dabei an Süßmayrs Partitur, so wie sie 1792 von Constanze Mozart an den Auftraggeber übergeben wurde.
Der freundliche Dirigent, der mit Nikolaus Harnoncourt etwa wortreich über Details der Musik diskutieren konnte, mied bei seiner Interpretation im Münchner Herkulessaal jede philologische Spitzfindigkeit und setzte eher auf opernhafte Wirkmächtigkeit. Er bewegt sich dabei näher an seinen Lehrern Hans Swarowsky und Herbert von Karajan als an den Zeitgenossen Harnoncourt, Christopher Hogwood oder auch Georg Solti, der selbst neue Rekonstruktionsversuche in Auftrag gab. Auch die Wahl der Solist:innen Genia Kühmeier (Sopran), Elisabeth Kulman (Mezzosopran), Mark Padmore (Tenor) und Adam Plachetka (Bassbariton), die alle mit dezidiertem Vibrato aufwarten, sowie die große Besetzung von Chor und Orchester unterstreichen Jansons Lebensgrundsatz, sich künstlerisch nicht zu verbiegen.
So bewegt der Dirigent große Klangmassen und spitzt das Werk dramatisch zu. Aber auch das Lyrische kommt nicht zu kurz. Eine Aufführung mithin, wie sie lange zu den Standards des Musikrepertoires gehörte, die aber kaum mehr etwas zur Diskussion beizutragen vermag, wie Mozarts Todesmusik im Kontext heutigen Klangkonsums zwischen tröstender Kirchenkunst und medialem Musikgeschäft noch einigermaßen authentisch aufzuführen sein könnte.
Matthias Roth