Werke von Andrew Lloyd Webber und Samuel Barber
Requiem/Adagio for Strings
Soraya Mafi (Sopran), Benjamin Bruns (Tenor), Florian Markus, Henrik Brandstätter (Knabensoprane, aus dem Tölzer Knabenchor), Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester, Ltg. Patrick Hahn
William Lloyd Webber, Londoner Komponist und Kirchenmusiker, starb im Oktober 1982. Ihm zum Gedenken schrieb sein Sohn Andrew ein Requiem, das 1985 in New York unter der Leitung von Lorin Maazel uraufgeführt wurde, die Ersteinspielung erhielt einen Grammy für die beste zeitgenössische klassische Komposition.
Angezweifelt wurde, ob Webber imstande wäre, sich einer Totenmesse musikalisch adäquat zu nähern. Seine Herangehensweise wird (wie z. B. auch die von Bernstein oder Schnittke) mit dem Begriff Eklektizismus belegt. Dass dies auch im Booklettext anklingt, unterminiert ein wenig die Bedeutung dieser sehr gelungenen Produktion.
Webbers Vertonung des lateinischen Textes besitzt eine ernste Grundhaltung. Die Musik evoziert den Nachvollzug der Textaussagen, sie ermöglicht ein inneres Mitgehen und -singen. Als Basis dienen Intervallkonstruktionen, im einleitenden Requiem-Kyrie sind aus der Quinte melodische Wendungen und Begleitakkorde abgeleitet, im Lacrimosa besteht die Melodie überwiegend aus kleinen Terzen. Häufige Wiederholungen von Abschnitten, auch mit anderer Textunterlegung und verteilt über die Sätze, bilden Zusammenhalt, ebenso ostinate Bildungen. Die Musiksprache ist tonal, dabei modal bis chromatisch, zum Teil recht dissonant. Stilistisch ist sie weit gefächert, von Liedhaftem und Ariosem reicht sie bis zur Chorpolyfonie und zum Gospel (Hosanna). Obwohl partiell Assoziationen aufkommen, z. B. an Holst, Orff oder Puccini, bleibt dieses Requiem doch eigenständig. Einzig das Pie Jesu erscheint wie eine Musical-Auskopplung, es fällt kompositorisch ab.
Ungewöhnlich in der Besetzung ist die Solo-Partie für Knabenstimme sowie der Einsatz von Orgel und Synthesizer und die Aussparung von Violinen. Die Tontechnik dieser Live-Aufnahme aus der Münchner Herz-Jesu-Kirche ist hervorragend. Den Knaben-Solisten fehlt es zuweilen an Legato, Soraya Mafi bewältigt extreme Höhen bei ausgeprägtem Vibrato, Benjamin Bruns Stimme reißt mit, partiell forciert er. In seiner Ausdrucksvielfalt von Innigkeit zu Ausbruch hinterlässt der Chor des Bayerischen Rundfunks den bewegendsten Eindruck. Der junge Dirigent Patrick Hahn leitet umsichtig bei guter Tempowahl, im Lacrimosa verschleift er den 5/4-Takt. Das Münchner Rundfunkorchester begleitet rhythmusbetont und klangschön. Dessen Streichergruppe spielt als Zugabe Samuel Barbers berühmtes Adagio for Strings zurückhaltend und nimmt damit die Spannung des Requiem-Schlusses auf. Abweichend von der Partitur singt der Knabe sein „perpetua“ fortwährend in einer Schleife im Fade out, in das die Orgel brutale Cluster hineinfahren lässt, als letzten Aufschrei gegen die Realität des Todes.
Christian Kuntze-Krakau