Wolfgang Amadeus Mozart
Requiem
Urtext, vervollständigt und hg. von Michael Ostrzyga, Partitur/Klavierauszug
Von Mozarts Requiem d-Moll gibt es eine kaum mehr überschaubare Anzahl an Editionen, Bearbeitungen und „Vollendungsversuchen“. Schon als 1800 die erste Ausgabe gedruckt wurde, geschah dies als pragmatische „Nicht-Urtext-Edition“, und fast jede folgende Druckausgabe darf sich gleichfalls nicht darauf berufen, Mozarts „Urtext“ zu präsentieren. Das Faszinierende gerade des Unvollendeten, das man aber nur in gewissem Maße als Torso aufführen mag, geht weit in das Denken der Romantik zurück, und wenn man liest, dass für Michael Ostrzyga Mozarts Musik „so tief [ist], dass man sie überhaupt nicht vermessen kann“, hat das durchaus einen rückwärtsgewandten Beigeschmack. Erfreulich nüchtern bleibt Ostrzyga in seinem Vorwort bei dem Blick auf die Werkgenese. Leider erfahren wir jedoch nicht, ob oder inwieweit Ostrzyga auf die Erkenntnisse der 1965 (rev. 3. Aufl. 2018) bei Bärenreiter erschienenen Edition von Mozarts Torso im Rahmen der Neuen Mozart-Ausgabe zurückgreift. Vielmehr lesen wir im Kritischen Apparat, dass nur drei Quellen, nämlich die Manuskripte herangezogen wurden. Auf die umfangreiche Literatur zu den Beiträgen einzelner (Stadler, Eybler, Süßmayr) zu diesen Quellen wird nur kursorisch und ohne die Möglichkeit einer Prüfung hingewiesen.
Die Edition selbst ist, wie bei Bärenreiter nicht anders zu erwarten, im Notentext zuverlässig, im Schriftbild vorzüglich. Die Ergänzungen sind, soweit möglich, klar ausgewiesen, die Edition als praktische Ausgabe bestens geeignet. Ostrzygas Ergänzungen sind kaum minder Konjektur als jene früherer Herausgeber – nur der eröffnende Requiem-Satz ist ausschließlich von Mozarts Hand, substanzielle Teile des Kyrie, der Sequenz und des Offertorium in beachtlichem Maße. Sanctus – Benedictus und Agnus Dei stammen weitgehend von Süßmayr bzw. wurden teilweise neu komponiert. Ein besonderer Fall ist der Abschluss der Sequenz: Es gibt eine separate „Amen“-Skizze, die schon gelegentlich zum Abschluss herangezogen wurde, in der vorliegenden Edition auch in möglicher Kombination mit Ostrzygas Komplettierung des Satzes.
Ostrzyga geht es, auch wenn er manche früher vorgestellte Lösung und Stileinschätzung hinterfragt, um einen konstruktiven Dialog (doch offenbar ohne dass er sich intensiv mit den Editionen anderer, darunter Neukomm, Beyer, Irmen oder Maunder, auseinandergesetzt hätte). Er ist sich bewusst, dass wir nie wissen werden, was Mozart selbst geschrieben hätte.
Als wissenschaftlich-kritische Edition ist die Veröffentlichung kaum gelungen – zu viele Fragen bleiben offen, zu viele Punkte werden von der musikpraktischen Seite betrachtet, und der Kritische Apparat ist schlicht keiner.
Jürgen Schaarwächter