Hans-Joachim Wagner (Hg.)

Reinhard Goebel „Der Kopf macht die Musik“

Texte zur Musik. Essays, Interviews, Würdigungen

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Kamprad, Altenburg
erschienen in: das Orchester 5/2025 , Seite 69

Er ist ein Musiker mit Verstand. Ein Mensch mit beeindruckend enzyklopädischem Wissen, ein Wegbereiter für einen neuen, frischen Blick auf die Musik des 17., 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Reinhard Goebel ist ein kluger Kopf. Verkopft aber sind weder seine akademischen noch seine künstlerischen Interpretationen. Goebel lebt, was er kann und weiß. Das ist zu hören auf der Vielzahl an Einspielungen, auch zu hören und zu sehen im Konzert, wo der gelernte Geiger inzwischen als hochgeschätzter Dirigent agiert. Und: Es ist zu lesen.
Denn Reinhard Goebel hat in den Jahrzehnten seines Schaffens immer wieder auch geschrieben: etwa über Georg Philipp Telemann oder über Heinrich Ignaz Franz Biber und selbstverständlich über die Familie Bach – mit großem Respekt und mit dem Ringen um eine angemessene Darstellung dessen, was sich dort an kompositorischer Kunst im jeweiligen historischen Umfeld entwickeln konnte. Goebel schrieb und schreibt mit ungeheurer Lust an der Sache und auch an sprachlichen und grammatikalischen Möglichkeiten. Ein Gedanke braucht mitunter mehr als Subjekt, Prädikat, Objekt. Die Dinge sind komplex.
Hans-Joachim Wagner, Musikwissenschaftler, Autor, Szenekenner und manches mehr, hat jetzt in einem klug komponierten Band kenntnisreich und mit sicherem Gespür eine repräsentative Auswahl an Beiträgen von Reinhard Goebel in eine Reihe gestellt, die sowohl einer musikgeschichtlichen Chronologie folgt als auch die biografisch-künstlerische Entwicklung des Musikers deutlich macht. Flankiert werden Essays, Vorträge oder Booklet- und Programmheftbeiträge von einigen wenigen, aber umso aussagekräftigeren Texten über Reinhard Goebel. Da gibt es die hochoffiziellen Laudationes anlässlich wichtiger Preisverleihungen, da gibt es O-Töne wie die der frühen Weggefährtin Gudrun Heyens („R. G. im Bus“) oder der Pianistin Hélène Mercier-Arnault („mitgerissen und überzeugt“), da gibt es Würdigungen zum 60. Geburtstag. Eleonore Bünings pointiertes Porträt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung trägt am 30. Juli 2012 als Überschrift, was nun zum Titel dieses Kompendiums an Schriften geworden ist: „Reinhard Goebel: Der Kopf macht die Musik“.
Wie schön, dass Hans-Joachim Wagner vor sein Nachwort vier Interviews stellt. Ergänzt um einige ausgewählte Fotografien in Schwarz-Weiß ergibt sich das Bild eines leidenschaftlichen Musik-Arbeiters, weit entfernt von selbstgenügsamer Behaglichkeit. Reinhard Goebel hat eine Spur gelegt und ist beileibe nicht am Ziel. Mehr wissen, mehr sagen, mehr fordern – das prägt dieses reiche und bereichernde Künstlerleben und damit auch dieses fein gewebte Porträt aus Texten. Chapeau!
Claudia Irle-Utsch