Martin Hoffmann

Regensburg: Klänge sinnlich erfahren

Tage Alter Musik Regensburg 2022

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 11/2022 , Seite 48

Zweifellos sind die Regensburger „Tage Alter Musik“ eines der wichtigsten Festivals der Alten Musik. Nach der herbstlichen Notausgabe im vergangenen Jahr fand das Festival dieses Jahr wie gewohnt wieder am Pfingstwochenende statt. Und man war gespannt: sowohl auf junge Solis­t:innen und aufstrebende Ensembles als auch auf arrivierte Stars der Szene, die hier auch zum Freundschaftspreis auftreten. Zudem kann man immer wieder aufführungspraktische Details entdecken und sinnlich erfahren, wie Ensembles idiomatische Klänge formen und damit überwältigende Wirkung im Raum entfalten. Neben diversen Klangfarben spezifischer Instrumente spielen aber auch die sozialen, politischen und liturgischen Implikationen der Musik im Kontext der Besetzung eine wesentliche Rolle.
Traditionell eröffnen die Regensburger Dom­spatzen die „Tage Alter Musik“. Domkapellmeister Christian Heiß markiert hier mit der Großen Credo-Messe (KV 257) und den Vesperae solennes (KV 339) für seine Knaben einen wichtigen Schritt aus der Coronakrise. Dass Heiß auf die für die Salzburger Tradition idiomatischen Posaunen verzichtet, ist wohl der Absicht geschuldet, die Leistungsfähigkeit des Chores trotz coronabedingter Krankheitsausfälle zu demonstrieren. Mit Erfolg!
In der Dreieinigkeitskirche konfrontiert der fingerflinke belgische Organist Bart Jacobs die staunenden Zuhörer mit rekonstruierten Konzerten Johann Sebastian Bachs für Orgel und Streicher. Dank kluger Bildregie kann man dieses barocke Tastenfeuerwerk an einer in der Apsis aufgebauten Videowand hautnah erleben. Am Sonntag verzaubert die wunderbar Vivaldi gurrende Mezzosopranistin Lea Desandre dann mit dem fabelhaften Ensemble Jupiter unter der Leitung des Lautenisten Thomas Dunford ihre Zuhörer:innen im Reichstag. Tags darauf gelingt hier der hinreißend musizierenden Barockgeigerin Leila Schayegh in einem Solo-Rezital mit Werken von Westhoff, Biber, Pisendel und Bach wahrlich eine sensationelle, klingende Evolutionsgeschichte der Violine!
Wenn Peter Phillips mit seinen Tallis Scholars lateinische Motetten von William Byrd inszeniert, ist das große Vokalkunst. So wird das in der grandiosen gotischen Kathedrale St. Peter bis auf den letzten Platz gefüllte Nachtkonzert wie erwartet zum Ereignis. Doch tatsächlich ist diese subversive Musik des bekennenden Katholiken William Byrd für englische Herrenhäuser auf dem Land, also für eine verbotene Liturgie im „Untergrund“ geschrieben. Hier sangen, wie bei Phillips, immer auch ambitionierte Frauen. Die opulente gotische Kubatur des Regensburger Doms entspricht also genau genommen nicht den historischen Aufführungsbedingungen. Denn die politische Bri­sanz dieser Musik entfaltet sich eher im Obskur-Geheimen, weniger im offiziösen Raum. Am letzten Tag erklingt venezianische Mehrchörigkeit Giovanni Gabrielis und Claudio Merulos mit dem hochgehandelten feinen Ensemble La Guilde des Mercenaires. Kantig schnarrende Farben von Zinken, Posaunen und Fagott verbinden sich mit virtuoser Vokalkunst!