John Borstlap

Regaining Classical Music’s Relevance

Saving the Muse in a Troubled World

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Cambridge Scholars Publishing, Newcastle
erschienen in: das Orchester 7-8/2025 , Seite 69

Jeder, der im Klassikbetrieb tätig ist, als Orchester, als Konzerthaus, Festival, Veranstalter, Agentur oder Ausübender, beobachtet die jeweilige Relevanz des eigenen Tuns. Unstreitig ist, dass sich die Verhältnisse in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben. Stand nach dem 2. Weltkrieg – zumindest in Deutschland – klassische Musik in einer breiten bürgerlichen Mitte noch relativ hoch im Kurs, war damit spätestens mit der deutschen Wiedervereinigung Schluss. Manifestiert hat sich das in den zahlreichen Strukturveränderungen und vor allem im Abbau von Orchestern – von 168 Ensembles im Jahr 1992 auf heute 129. Auch in anderen Ländern, z.B. in den Niederlanden oder Frankreich, waren und sind Orchester von Kürzungen und Einschnitten betroffen.
John Borstlap, geboren 1950 in Rotterdam, Komponist und Musikpub­lizist, beschreibt in seinem Buch, wie verwundbar Orchester und Musiktheater in der öffentlichen Debatte bei einem Erstarken von populistischen Positionen geworden sind. Insbesondere, wenn man sie als „elitär“ brandmarkt, um ihre Finanzierung in Frage zu stellen. Es sei daher an der Zeit, den Klassikbetrieb neu zu denken, um ihm mit Blick auf die überaus große Kraft der Musik neue gesellschaftliche Relevanz zu verleihen. So gesehen, sei jedes Konzert mit Musik der Vergangenheit gleichzeitig ein Moment der Wiedergeburt; Tod und Auferstehung seien eine kuriose Kombination. Die Klassik dürfe sich nicht in die Ecke eines verstaubten Museums schieben lassen. Sie müsse vielmehr mit ihren Mitteln einen Kontext zu aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen finden.
Um hier konkrete Antworten herauszuarbeiten, begibt sich Borstlap in sieben Kapiteln auf Spurensuche in der Psychologie, in den spirituellen Wurzeln der Musik, in der Selbstbestimmung von gesellschaftlichem Miteinander, in der Natur, im letzten „goldenen Zeitalter“ (gemeint ist die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Beginn des 20.). Im 6. Kapitel („The Desert or The Mountains“) betrachtet Borstlap verschiedene Entwicklungen, die auch die Relevanz der Klassik beeinflusst haben: Modernismus mit Fortschrittsglauben und Freiheitsstreben, aber auch Fragen von Präsentation und Programmierung, Finanzierung und Promotion, Informationstechnologie, Bildung und Erziehung bis hin zu sozialen Fragen.
Im Ergebnis kommt Borstlap zum Schluss, dass die klassische Musik auch und gerade als komplexe Kunstform ihre gesellschaftliche Relevanz neu definieren und erarbeiten muss. Er ist davon überzeugt, dass das gelingen kann. Ein wirklich lesenswertes Buch.
Gerald Mertens

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