Thomas de Hartmann

Rediscovered

oshua Bell (Violine), Matt Haimovitz (Cello). INSO-Lviv Symphony Orchestra, Ltg. Dalia Stasevska, MDR Leipzig Radio Symphony ­Orchestra, Ltg. Dennis Russell Davies

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Pentatone
erschienen in: das Orchester 1/2025 , Seite 75

Die Überflutung mit tausenden von Tonträger mit Bach, Mozart, Beethoven & Co. führt dazu, dass so manche Entdeckung eher im Verborgenen blüht. Die hier zu würdigende CD enthält die Welterstein­spielungen sowohl des Violin- (op. 66, Paris, 1943) als auch des Cellokonzertes (op. 57, 1935) von Thomas de Hartmann. Schon die Aufmachung der CD ist Programm: Die Hülle bildet die Reproduktion des Gemäldes Durchgehender Strich (Dessau, 1923) des expressionistischen und konstruktivistischen Malers Wassily Kandinsky ab, mit dem de Hartmann eng befreundet war. Und in der Tat: Vor allem die Diktion des Cellokonzerts lässt sich unter „musikalischer Expressionismus“ subsumieren. Der Solist, Matt Haimovitz, vermutet, dass de Hartmann mit dieser Ausdrucksform versucht habe, die deprimierende Unterdrückung der Ukraine während der 1930er Jahren zu überwinden: Eben mit einer Form, die gerade nicht den Ansprüchen des sozialistischen Realismus entsprach – auch wenn das Werk mit traditionellen folkloristischen Judaismen reichlich geschmückt ist. Matt Haimovitz hat in seiner begeisternden, höchst kantablen Interpretation sehr gut verstanden, worum es dem Komponisten ging: Er verleiht dem Werk, Stichwort Unterdrückung und Krieg, heute eine höchst aktuelle Gültigkeit!
In beiden Konzerten bedient sich der Komponist einer Fülle überwältigender Klangfarben, die den Schöpfer zahlreicher Filmmusiken nicht ganz verleugnen können. De Hartmanns Violinkonzert ist einem Interpreten wie Joshua Bell geradezu auf den Leib geschrieben. Der Komponist hatte es dem befreundeten Violinisten Albert Bloch gewidmet, der es jedoch nicht mehr aufführen konnte, sodass es erst 1947 durch Georges Alès aus der Taufe gehoben wurde. Obwohl de Hartmann selbst kein Jude war, dominieren auch in diesem Konzert die jüdischen Assoziationen: Er selbst hatte es als „Klezmer-Konzert“ geadelt.
Beide Konzerte sollten sich mit ihren bewegenden Klängen schon bald einer großen Hörergemeinde erfreuen dürfen – sie sind, wie auch andere Werke des Komponisten, der Wiederentdeckung wert. Spannend dürfte es auch zugehen, wenn sich ein Produzent des Konzerts für Cello und Streichorchester op. 73 annehmen sollte, das den verheißungsvollen (aber auch Stolperfallen intendierenden) Titel Concerto d’après une cantata de J. S. Bach trägt.
Das Beiheft ist hübsch gestaltet, auch durchaus informativ, wenngleich man (vor allem wegen eines beteiligten deutschen Orchesters) gern auch einen deutschsprachigen Text entdeckt hätte.
Friedemann Kluge