Werke von Sarasate, Prokofjew, Britten und Tárrega

Recuerdos

Augustin Hadelich (Violine), WDR Sinfonieorchester, Ltg. Cristian Măcelaru

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Warner Classics
erschienen in: das Orchester 5/2023 , Seite 68

Die Frage, ob die hier gewählte Werkzusammenstellung überhaupt funktionieren kann, wird rasch irrelevant, wenn man sich in die Produktion und ihren roten Faden – nämlich den Widerhall jüngerer spanischer Geschichte durch Musik einzufangen – vertieft. Pablo de Sarasates Carmen-Fantasie (1883) steht für das gleichsam exotische Spanien des ausgehenden 19. Jahrhunderts: Mit technisch überlegener Eleganz arbeitet der Geiger Augustin Hadelich Klangfarben und Spannungsmomente des Violinparts heraus, lässt sein Spiel (etwa bei der Verwendung von Flageoletts) mit den orchestralen Timbres verschmelzen und nimmt sich dabei immer wieder auch Zeit, um in die Musik hineinzulauschen.
Die auftrumpfende Gestik von Sarasate findet sich in Sergej Prokofjews Violinkonzert Nr. 2 g-Moll op. 63 (1935) höchstens noch in den Rhythmen des Finales, während die „spanischen“ Momente ansonsten eher zurückhaltend eingesetzt werden und sich etwa in jenen feinen orchestralen Klangtupfern finden, die der Komponist der verschwenderisch dargebotenen Kantilene des Mittelsatzes unterlegt. Mit großem gestalterischen Können formt Hadelich die oft rasch wechselnden Stimmungen des Konzerts und wird dabei von einem glänzend aufgelegten, immer wieder aufblühenden WDR Sinfonieorchester unterstützt. Momente wie die leichte rhetorische Dehnung des ersten Kopfsatzthemas, die vom Solisten ins Orchester wandert, vermitteln eine ungewohnte Tiefe, die sich in den makellos lyrischen Ausdruck des zweiten Themas, aber auch in die dramatischen Steigerungen des weiteren Satzverlaufs hinein fortsetzt.
Nach dem herberen Tonfall dieser Komposition tritt der Ernst von Benjamin Brittens Violinkonzert d-Moll op. 15 (1938) umso stärker hervor, zumal der Entstehungskontext – die Reaktion auf den spanischen Bürgerkrieg – ungeschönt in den Vordergrund drängt. Măcelaru arbeitet die quasi-mili­tärischen Klangsignaturen präzise aus dem Orchester heraus und lässt sie gegen die von Hadelich mit großem Nuancenreichtum gestaltete Klage sowie gegen das immer wieder aufscheinende spanische Melos prallen. Die Zuspitzung des musikalischen Konflikts findet in den wuchtigen Marschpassagen des zweiten Satzes zu einer bedrängenden körperlichen Dichte, die sich in Hadelichs fulminantem Vortrag der Kadenz entlädt, um danach in den großen, orchestral aufgefächerten, aber dennoch auch von optimistischeren Klängen durchzogenen Gesang des Finales zu münden. Im Anschluss daran beschwört Hadelich mit Francisco Tárregas Recuerdos de la Alhambra dem Titel der CD gemäß noch einmal die Erinnerung an die alte Zeit. Er lässt dabei einzelne Momente aufblitzen, die sich mehr oder minder direkt in allen anderen Stücken finden, um dann aber mit gekonnt zurückhaltendem Vortrag die Musik geradezu ins Verlöschen zu führen.

Stefan Drees