Werke von Bernd Alois Zimmermann

recomposed

WDR Sinfonieorchester, Ltg. Heinz Holliger

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo
erschienen in: das Orchester 04/2023 , Seite 68

Melancholiker, Universalist, Pluralist – mit diesen Begriffen wurde Bernd Alois Zimmermann jahrzehntelang verschlagwortet. Sich selbst empfand er als „sehr rheinische Mischung aus Mönch und Dionysos“. Vermittelt durch Dirigenten wie Michael Gielen, Hans Zender oder (letzthin) Thomas Hengelbrock, teilte er sich dem Musikleben vornehmlich als Schöpfer apokalyptischer Zentnerwerke mit, voran das Requiem für einen jungen Dichter und die „Ekklesiastische Aktion“ Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne. Als Nachklang der Oper Die Soldaten blieben zudem die Orchesterskizzen Stille und Umkehr in Erinnerung: ein Werk des Rückzugs, das seine trübe Weltsicht im Blues-Rhythmus an den Schicksalston d bindet.
Dass es noch einen anderen Bernd Alois Zimmermann gegeben hat, der auf Abruf und durchaus nicht unlustig „Gebrauchsmusik“ lieferte – wer außer wenigen Eingeweihten hätte es heute noch gewusst? In den Nachkriegsjahren galt „angewandte Musik“ keineswegs als ehrenrührig. Als Kölner Hochschullehrer leitete er sogar ein Seminar für Hörspiel-, Film- und Bühnenmusik.
Es bedurfte einer Künstlerpersönlichkeit barocken Formats, nämlich des Baseler Oboisten, Komponisten und Dirigenten Heinz Holliger, um Zimmermanns frühe Arbeiten für den Rundfunk und deren Bedeutung für sein „eigentliches“ Schaffen zu erkennen und öffentlich hörbar zu machen. Wobei ihm das Sinfonieorchester des WDR zu Diensten stand – ein Sender, der Zimmermann in den 1950er Jahren quasi als Hauskomponisten beschäftigt hatte.
Auf drei CDs verteilt, mit einem erschöpfenden Beiheft versehen und solide eingeschachtelt, beseitigt die nunmehr achte Zimmermann-Edition des Schott-Labels Wergo eine Blindstelle im Lebens- und Schaffensbild des Komponisten. Wobei der modische Titel „recomposed“ die Qualitäten seiner (keineswegs parasitären) Bearbeitungen vernachlässigt, die sich öfter gar zu Schöpfungen sui generis verselbstständigen. Wie das Ballett für Orchester Alagoana. Caprichos Brasileiros (1951/55), die Sinfonie in einem Satz (2. Version, 1953), die Rheinischen Kirmestänze für dreizehn Bläser (1962) oder Un petit rien (1964), untertitelt als „Musique légère, lunaire et ornithologique“.
Im beigefügten Gespräch mit Michael Kunkel über Zimmermanns Bearbeitungspraxis wird Heinz Holliger nicht müde, dessen ästhetische Unvoreingenommenheit und Experimentierlust zu preisen. Gefälliges habe er klanglich „auf eine ganz andere Ebene“ gehoben. Fazit: „Alles, was er für den Rundfunk macht, ist grundlegend für sein späteres Schaffen.“ Dem ist als staunender Hörer nur beizupflichten.

Lutz Lesle