Blomann, Ulrich J. / Heßler, Hans-Joachim (Hg.)
Rastlose Brückenbauerin
Festschrift zum 80. Geburtstag von Ilse Storb
Im Jahr 2009 feierte Ilse Storb ihren 80. Geburtstag. Zu Ehren der einzigen Professorin für Jazzforschung in Europa haben 46 Autoren, darunter Uta Ranke-Heinemann, Alfons M. Dauer, Franz Kerschbaumer und Dave Brubeck, Beiträge geliefert. Von der Vielfalt der angesprochenen Themen der vertretenen Disziplinen und der Berufsfelder der Autorinnen und Autoren sollte man, so das Vorwort der Festschrift, tief beindruckt sein. Muss man aber nicht unbedingt. Denn die innere Kohärenz der Artikel, die man sich in der Tat immer wieder bewusst machen muss, ergibt sich einzig daraus, dass sie auf eindrucksvolle Weise die ungewöhnliche Persönlichkeit der zu ehrenden Kollegin und Freundin widerspiegelt.
Tatsächlich hat die zu ehrende Professorin viele Facetten, die im Buch auch zum Tragen kommen. Ilse Storb ist klassische Pianistin und Louis-Armstrong-Expertin, über den sie eine Biografie schrieb. Sein Lebensmotto I like to make people happy hat sie sich zu eigen gemacht. 1971 initiierte sie das Jazzlabor an der damaligen Pädagogischen Hochschule Ruhr. Mit diesem Ausbildungsgang wurde im Bereich der Schulmusikausbildung Pionierarbeit geleistet. 1982 wurde sie Professorin für Systematische Musikwissenschaft, einschließlich Jazzforschung. In den 1980er und 1990er Jahren organisierte die umtriebige Ilse Storb fünf Kongresse für Jazzpädagogik und Improvisierte Musik und machte mindestens 30 Forschungsreisen nach Schwarzafrika. Selbstredend spielte sie auch in einer eigenen Band, die sie Ilse and her Satchmos nannte.
Die einzelnen Beiträge aus Pädagogik, Jazzforschung, Ethnologie, Soziologie und Theologie enthalten interessante Aspekte, die freilich auch Fragen aufwerfen: Hätte Goebbels mit einer Frau wie Ilse Storb gejazzt, wäre er kein Nazi geworden. Der Propagandaminister kommt ausführlich mit seinen Tagebüchern zu Wort in einem recht überflüssigen Beitrag. Viele Nazi-Größen hörten begeistert Swing, ohne vom Morden zu lassen. In diesem Zusammenhang über den Begriff Rasse zu reflektieren, mag angebracht sein, gehört jedoch nicht in eine derartige Festschrift.
Anleitungen zum spannungsvollen Entspannen mögen angebracht sein, wenn es um das entspannte Hören geht. Ansonsten sind vielfach Anstrengungen nötig, um die eingangs beschriebene Kohärenz der Beiträge festzustellen. Die Themen des halben Hunderts an Beiträgen zu benennen und im einzelnen zu hinterfragen, würde hier zu weit führen.
Einzig auf den letzten 70 Seiten der Festschrift, wo es um Persönliches geht, melden sich Freunde, Kollegen und ehemalige Schüler zu Wort. Der wissenschaftliche, höhere Gestus weicht niederen menschlichen Bedürfnissen. Jazz, gibt Dunja Berthold zu Protokoll, wird zum Lebenselixier für Ilse Storb. Sie ist und bleibt eine, so liest man, Missionarin des Jazz.
Reiner Kobe