Ulrich Tadday
Ralph Vaughan Williams
Musik-Konzepte Sonderband
Es ist leider immer noch so, dass die britische Musik in der deutschsprachigen Forschungsliteratur keine wirklich bedeutende Rolle spielt. In der verdienstvollen Reihe „Musik-Konzepte“ etwa hat man sich erst seit einigen Jahren einigen ausgewählten britischen Tonsetzern gewidmet. Da kommt der aktuelle Sonderband mit Aufsätzen zum Schaffen von Ralph Vaughan Williams gerade recht – um so mehr, als dieser Komponist mit seiner Musik zwar auf dem Tonträgermarkt gut vertreten ist, nicht jedoch im Konzertleben, schon gar nicht in Mitteleuropa. „Um ein Konzertleben, das seine Sinfonik ignoriert, ist es schlecht bestellt“, konstatiert Meinhard Saremba in seinem Essay „Einander durch unsere Kunst kennen und lieben …“, der gleich zu Beginn des Bandes abgedruckt ist, völlig zu Recht.
Was sich in dem Buch jedoch eher wenig findet – im Gegensatz zu den sonstigen Zielen der Musik-Konzepte-Reihe –, sind Studien zu ausgewählten Aspekten zum Schaffen des Komponisten. Wahrscheinlich eingedenk der Tatsache, dass die Musik von Ralph Vaughan Williams für viele deutschsprachige Musikfreunde immer noch eine unbekannte Größe darstellt, hat man sich dazu entschieden, einen Überblick über sein Œuvre zu präsentieren, geordnet nach Gattungen: die neun Sinfonien, aufgeteilt auf drei Autoren, sonstige Instrumentalmusik, Lieder und Kammermusik, die Opern sowie Chor- und Kirchenmusik. Zudem ist dem Opus summum „RVWs“, der Oper The Pilgrim’s Progress, ebenso ein eigener Aufsatz gewidmet wie der Filmmusik Scott of the Antarctic und der daraus resultierenden siebten Sinfonie, der Sinfonia antartica. Den Anfang macht, wie erwähnt, der umfassende und sehr informative Text Meinhard Sarembas, der sich sowohl mit der Rezeption Vaughan Williams’ in Europa, speziell in Deutschland, beschäftigt wie auch mit seinem Bezug zum eigenen Land und seiner Kultur, die mit Nationalismus im herkömmlichen Sinn nichts gemein hat.
Die Qualität der übrigen Texte schwankt von Autor zu Autor. Annika Forkert etwa hat in der gegenüberstellenden Untersuchung der Sinfonien 4 und 5 durchaus etwas Eigenes beizutragen – dergestalt zum Beispiel, dass die scheinbar so friedliche Fünfte keineswegs eine „Zurücknahme“ der aufgewühlten und dissonanten Vierten darstellt. Einige Texte, etwa der über die Lieder und Kammermusik, beschränken sich über weite Strecken auf eine kursorische Aufzählung dessen, was im jeweiligen Genre bei RVW zu finden ist. Auch vermisst man im Text über The Pilgrim’s Progress eine stärkere Berücksichtigung der zahlreichen Querverbindungen, die sich in Vaughan Williams’ Schaffen zu dieser Oper finden lassen. Sehr erhellend wiederum der Aufsatz über das „Antarktis-Projekt“ – und wie die siebte Sinfonie musikalisch größtenteils eine andere, weit weniger heroische, Grundaussage trifft als der Film. Insgesamt hätte man sich mehr von diesem Band versprechen können, aber zu einer kompakten Einführung in das Schaffen eines der interessantesten englischen Komponisten ist er allemal von Nutzen.
Thomas Schulz