Jan Freidlin

Rainy Days’ Rhapsody

für Violoncello und Klavier, Partitur und Stimme

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Edition Dohr
erschienen in: das Orchester 7-8/2025 , Seite 73

Jan Freidlin gelingt es in dieser Komposition, die Stimmung eines Regentages einzufangen, zeitgenössische atonale Musik zu komponieren, an die in die Antike zurückreichende Tradition des Rhapsoden, also des Sängers, anzuknüpfen und die im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert bei Komponisten wie Franz Liszt, Béla Bartók oder Ernst von Dohnányi beliebte freie, der Tondichtung nahe Form der Rhapsody weiterzuentwickeln. Doch so vielschichtig und komplex dieses Werk ist, es wirkt keineswegs intellektuell oder nur mit dem Kopf konstruiert. Vielmehr ist es emotional, poetisch und zugleich höchst dramatisch.
Wir hören, wie Regentropfen niederfallen, anfangs langsam. Später werden sie regelmäßig niederprasseln als Achtel, dann Viertel. Das Violoncello hat den Part des „Rhapsoden“, spielt zu Beginn einzelne, durch Pausen abgetrennte Motive, dann auch eine längere Melodie. Es hat die Aufgabe, „sprechend“ zu spielen bis hin zu einem erregten Deklamieren auf einem Ton. Die Rhapsody war im 19. Jahrhundert so beliebt, da sie eine Art Tondichtung im kleineren Format ist. Freidlin fügt sein Stück aus einem verhaltenen Sostenuto, einem Allegretto, einem Moderato tranquillo und Ausbrüchen ins Agitato molto zusammen. So entsteht eine äußerst spannende musikalische Dramaturgie, die zwei Höhepunkte erreicht: Beim ersten „rezitiert“ das Violoncello auf einem hohen Ton, allein, unbegleitet vom Klavier, was wie ein Schrei wirkt. Beim zweiten Höhepunkt, 200 Takte später, erklingt dieses Rezitieren auf einem Ton erneut, molto agitato, dieses Mal aber nicht allein, vielmehr spielt das Klavier seine Regentropfen tranquillo molto, gleichgültig gegenüber der höchsten Erregung des Violoncellos. Freidlin schreibt hierzu die Anweisung: „Cello and Piano play as if in different tempos.“ Dies zeigt: Für Freidlin ist die Rhapsody die Möglichkeit, Extreme auszuloten. Dies gilt auch für die Klangfarben, die dunkel und basslastig, aber auch schwebend hell sein können.
Freidlins Musik gelingt es, modern zu sein, also die Zusammenhänge zwischen den Tönen neu zu definieren, und gleichzeitig Emotionen anzusprechen, Stimmung und Atmosphäre zu schaffen. Ihren Interpret:innen stellt diese Musik weniger technische Hürden, fordert aber den Mut zu extremem Ausdruck, zu einem freien, vom Jazz inspirierten Musizieren.
Jan Freidlin stammt aus Russland, studierte in Odessa, unterrichtete dort Musiktheorie und Komposition und leitete das Jazzorchester der Odesa Philharmonic Society. Seit 1990 lebt er in Israel und lehrt an der Jerusalem Academy of Music in Tel Aviv. Bei uns ist er viel zu wenig bekannt. Der Kölner Dohr Verlag leistet mit vorzüglichen Notenausgaben einen wichtigen Beitrag, dass sich das ändert.
Franzpeter Messmer

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