Sergej Rachmaninow
Rachmaninoff in Lucerne Rhapsody op. 43/ Symphony No. 3
Behzod Abduraimov (Klavier), Luzerner Sinfonieorchester, Ltg. James Gaffigan
Entspannt sitzt er in einer Hängematte, lehnt lässig am Fenstersims und trinkt am Gartentisch lachend einen Tee im Kreis seiner Familie. So privat hat man den Russen Sergej Rachmaninow selten gesehen. Die auf seinem Anwesen „Senar“ am Vierwaldstättersee entstandenen Fotos zieren das ausgezeichnete Booklet einer neuen CD. In der Schweiz fand der nach der russischen Revolution in die USA emigrierte Komponist und Pianist 1930 wieder ein europäisches Heim auf neutralem Boden. Hier und in Amerika entstanden die letzten Werke des Entwurzelten, den Heimweh nach Russland quälte. Als er die sowjetische Kulturpolitik in der “New York Times” öffentlich kritisierte, strich man dort seine Werke aus den Programmen. Wie er sich dabei wohl gefühlt hat?
Luzern ist von seinem Anwesen nicht weit. So wundert es nicht, dass diese Aufnahme vom Luzerner Sinfonieorchester stammt. Das von James Gaffigan geleitete Orchester will natürlich keinen Lokalpatriotismus aufkeimen lassen. Der international renommierte Klangkörper gibt dem weltmännischen Rachmaninow eine Stimme. Zwei epochale Werke vereint die CD: die dritte Sinfonie und die „Paganini-Variationen“ für Klavier und Orchester. Zwei Werke, die die Größe und Meisterschaft dieses Komponisten beweisen, der allzu oft als vergessener Spätromantiker ad acta gelegt wurde. Gleich der ebenso trockene wie prickelnde Beginn der „Paganini-Variationen“ (1934) offenbart, dass die Interpreten viele moderne Züge aus dieser Musik herauskitzeln. Behzod Abduraimov spielt einen gänzlich unsentimentalen Rachmaninow. Die berühmte 19. Variation wird detailliert ausgearbeitet, wobei die Nähe zu Klavierkonzerten betont wird. Der Pianist ist hier ein Kommentator, der sich den schwärmerischen Aufschwüngen des Orchesters trotzig entgegenstellt. In den schnellen Variationen herrscht eine pointierte Virtuosität im Verbund mit „Neuer Sachlichkeit“ vor. Rachmaninows eigene Aufnahmen mögen als Vorbild gedient haben, auch wenn sie eine Spur eleganter klingen. Eine Besonderheit dieser Aufnahme ist außerdem, dass Abduraimov auf Rachmaninows originalem Steinway-Flügel (Baujahr 1934) aus der Villa „Senar“ musiziert. Dessen Klang kommt relativ warm aus den Boxen, was aber auch an der Aufnahmetechnik liegen mag.
Das Orchester greift die trockene Sichtweise auf. So wirkt die dritte Sinfonie so wie sie ist: ein modernes Statement im 20. Jahrhundert! Die Amerikaner hatten mit der 1934 von Leopold Stokowski in Philadelphia uraufgeführten Sinfonie ja so manche Schwierigkeiten. Ihre Erwartungshaltung wurde nicht erfüllt. Denn dieses Werk lebt auch von Brüchen, kultiviert die Spätromantik nicht mehr unreflektiert. Im Vergleich zu vorhandenen Aufnahmen mag die Emphase gebremst sein. James Gaffigan stellt sich aber ganz in den Dienst der Partitur. Das Ergebnis wirkt zeitlos, prägant und transparent. Das Lullaby aus den sechs “Moment Musicaux” für Klavier op. 16 rundet die Aufnahme ab.
Matthias Corvin