Stefan Heucke

Quintett op. 25

für Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass und Klavier, Partitur und Stimmen

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott, Mainz
erschienen in: das Orchester 5/2024 , Seite 66

Die Werke Stefan Heuckes werden von ihm selbst in einem Raum des „Dazwischen“ verortet, zwischen Traditionsbezug und zeitgenössischer Moderne. Das Denken in musikalischen Gattungen ist für ihn konstitutiv. In seinem Verfahren einer „synthetischen Tonalität“ sind tonale Klangeigenschaften und Aspekte der Reihentechnik ineinander aufgehoben.
Heuckes Komponieren findet in permanenter Auseinandersetzung mit der Kompositionsgeschichte statt. Er beschränkt sich dabei nicht auf das Zitieren oder Bearbeiten von Vorlagen, sondern nutzt vorgefundene Strukturen oder Formideen für seine individuelle Musiksprache. „Musik über Musik“ zu schreiben, ist für Heucke oft Ausgangspunkt wie auch Leitgedanke.
Sein Klavierquintett aus dem Jahr 1995, dessen Spielausgabe jetzt vorliegt, ist in der Besetzung identisch mit der des Forellenquintetts von Franz Schubert, es wurde explizit in diesem Bezug komponiert. Dabei vermeidet Heucke strikt, aus dem Werk seines erklärtermaßen Lieblingskomponisten zu zitieren; sein Bestreben war zu komponieren, was Schubert nicht komponierte. Dem Forellenquintett in seiner nahezu ungetrübten Lebensfreude stellt Heucke Nacht- und Schattenseiten gegenüber, unter Verweis auf Abgründe, die Schubert in anderen Werken zeigt. Der Kopf- und der Schlusssatz sind äußerst unruhig und wild. Statt fünf Sätzen enthält Heuckes Quintett acht, angeordnet in vier Doppelpaaren, die je zueinander kontrastieren. Die Ebene des Stilzitats wird im Ländler angestoßen, dessen Thema nach massiven Störungen fragmentiert bleibt. Hier zeigt sich deutlich Heuckes Ansinnen, Musik fasslich und zugänglich zu gestalten.
Das Verfahren, aus Keimzellen großformatige Stücke zu entwickeln, gehört zu den Kompositionsprinzipien u. a. Beethovens oder Brahms’. Hier nutzt Heucke eine je achttönige Doppelreihe aus dem Beginn des ersten Satzes, um aus deren vertikalen Intervallen (sechs Terzen und zwei Sekunden) die tonalen Zentren sämtlicher Sätze abzuleiten bzw. im Fall der Sekunden eine eher atonale Harmonik anzuwenden.
Die Ausführung dieses Quintetts erfordert professionelle Ensembles. Die Klavierstimme wird den Streichern oft entgegengestellt, im Sinne von Einwürfen oder Kommentaren, die Streichinstrumente sind oft im Satz geführt. Bei den Streicherstimmen wird das Umblättern praktikabel gehandhabt.
Heuckes Quintett ist klanglich oft herb und schroff, in der Gegenüberstellung zum Forellenquintett wird es, gerade im Konzert, seine Wirkung entfalten. Auch als Einzelwerk teilt sich die Gefährdung und Zerstörung von Zartheit, welche an einigen Stellen wie eine Erinnerung oder eine Utopie anklingt, unmittelbar mit.
Christian Kuntze-Krakau