Respighi, Ottorino

Quintett g-Moll

für Bläserquintett, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Accolade, Warngau 2015
erschienen in: das Orchester 10/2015 , Seite 70

Nach wie vor ist Ottorino Respighi einer der großen Unbekannten in der italienischen Musikgeschichte des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts. Das liegt sicher hauptsächlich daran, dass er zu einer Zeit, als die Oper die beherrschende Musikgattung in seinem Heimatland war, seinen Schaffensschwerpunkt nicht allein auf das Musiktheater legte. Zwei seiner Lehrer (Giuseppe Martucci und in Berlin Max Bruch) werden ihn schon früh davon überzeugt haben, sich mehr dem Instrumentalen zu widmen.
Wie immer gehört zu einer soliden Konservatoriumsausbildung die Beschäftigung mit kammermusikalischen Formen. Luca Franceschelli, der Herausgeber des vorliegenden, im Accolade-Musikverlag erschienenen Bläserquintetts in g-Moll, vermutet die Entstehung dieses nachweislichen Jugendwerks Respighis im Umfeld des Unterrichts von Giuseppe Martucci in Bologna. Franceschelli, der Fagottist des Quintetto Papageno, und seine vier Kollegen haben das hier wohl zum ersten Mal veröffentlichte Werk inzwischen auch auf CD eingespielt.
Wenn man dieses knappe und nur zweisätzige Bläserquintett aus Respighis Studienzeit als einen der ersten Einblicke in die Werkstatt des später für seine ausladenden Tondichtungen berühmt gewordenen Komponisten versteht, dann fällt zunächst einmal der sehr zurückhaltende Umgang mit den Bläserfarben auf. Schaut man in die Partitur, so verraten einem die Stimmen an sich und ohne die vorangehende Instrumentenzuordnung nicht viel über die Klangvorstellungen Respighis. Ja, es scheint sogar, als seien Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott (bis auf die Tonhöhen)
ein wenig austausch- oder gar durch zum Beispiel Streicher ersetzbar.
Man mag das klassisch oder, ein wenig unvorteilhafter, akademisch nennen, jedoch scheint sich der Komponist eben voll auf Form und Struktur konzentriert zu haben.
Die Form, das ist im am Beginn stehenden Allegro die klassische und für einen Schüler natürlich obligatorische Sonatensatzform, die hier auf übersichtliche Dimensionen herunterprojiziert ist. Der anschließende zweite und bereits letzte Satz wartet dann mit einer weiteren Grundform des klassischen Kanons auf und bietet Thema, vier Variationen und eine kurze Coda im gemäßigten Puls eines Andantes.
Der Fokus, den Ottorino Respighi in seinem frühen Bläserquintett auf die Form legt, erfordert bei der Ausführung zwangsläufig ein äußerst präzises Zusammenspiel und eine tonliche Balance, die die einzelnen Instrumente gut in einen eher auf extreme Dynamik verzichtenden Gesamtklang integriert. Der sehr moderate Schwierigkeitsgrad der Einzelstimmen wird dieser Anforderung nach Integration dabei ganz sicher entgegenkommen. Und auch ohne die virtuose Attitüde wird dieses Werk Liebhaber finden – als Bereicherung in einem eher schmalen Repertoire für Bläserquintett und als Beispiel für die nach wie vor völlig vernachlässigte Kammermusik italienischer Komponisten um 1900.
Daniel Knödler