Erkin, Ulvi Cemal

Quintet für Streichquartett und Klavier

Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2013
erschienen in: das Orchester 04/2014 , Seite 71

Es ist Musikern wie dem türkischen Pianisten Fazil Say zu verdanken, dass im Westen weitgehend unbekannt gebliebene Werke wie die seines Landsmanns Ulvi Cemal Erkin (1906-1972) inzwischen auch den Weg auf internationale Konzertpodien finden. Das Bewusstsein dafür, dass sich jenseits des mitteleuropäischen Kulturraums eine eigenständige, jedoch nicht minder interessante Spielart der Moderne herausgebildet hat, deren Kenntnis das Bild musikalischer Entwicklungen im 20. Jahrhundert um wichtige Facetten bereichern kann, hat daher auch Einzug ins Verlagsgeschäft gehalten.
Entsprechend gehört das vorliegende, musikalisch wie technisch anspruchsvolle Klavierquintett zu einem ganzen Schwung Erkin’scher Kammermusikwerke, deren Publikation der Schott-Verlag derzeit vorantreibt. Dass Erkin seine Ausbildung in Paris u.a. als Schüler von Nadia Boulanger genossen hat, lässt sich seiner Musik insofern anmerken, als sie aus einer besonderen Aufmerksamkeit für die Klangfarben heraus erdacht ist und passagenweise gar noch einen Hauch vom Parfum des Fin de siècle anklingen lässt. Diese Kennzeichen verbindet der Komponist jedoch so gekonnt mit Elementen seiner Heimat, dass man von einer geglückten Synthese unterschiedlicher kultureller Einflüsse sprechen kann. Auf struktureller Ebene macht sich dies einerseits in der Verwendung synkopischer Rhythmen und ungeradzahliger Metren, andererseits aber in einer spezifischen Melodiebildung mit Dominanz engschrittiger Themen ohne große Intervallsprünge bemerkbar, wobei Letzteres die tonale Harmonik entscheidend beeinflusst.
Erkin behandelt Klavier und Streichquartett als einander gegenüberstehende Gruppen, die gelegentlich auch ohne den jeweils anderen auftreten. Dass er die Streicher dabei immer wieder im Unisono gegen das Klavier setzt, gehört ebenso zu den Eigenheiten der Musik wie die besonders für den Kopfsatz charakteristische Entfaltung raffinierter Klangflächen, aus denen dann die jeweils führenden Stimmen heraustreten. Instrumentatorische Kunstgriffe wie die fahlen Schatten, die im zweiten Satz durch Flageolettakkorde auf den Klavierpart fallen oder die colla-parte-Führung des gezupften Cellos zu dem vom Klavier angestimmten Thema zeugen von einem untrüglichen Sinn für die klangfarblichen Möglichkeiten der Besetzung. Effektvoll und rhythmisch vertrackt ist der mit „Ritmico e energico“ übertitelte dritte Satz, in dem sowohl Klavier als auch Streichquartett primär perkussiv behandelt werden und sich im Zusammenwirken von akkordischen Akzentuierungen, Pizzicato und col-legno-Einsätzen der Eindruck eines großen Schlaginstruments ergibt. Die Alternative, diesen Teil bei Vertauschung der Mittelsätze an zweiter Stelle zu spielen, erscheint musikalisch sinnvoller, um ihn stärker vom energetischen Finale – einem Stück, bei dem die Unisonoführung sämtlicher Instrumente am ehesten das Attribut „folkloristisch“ provoziert – abzuheben.
Stefan Drees