Werke von Christoph Ehrenfellner, Tristan Schulze, Gottfried von Einem und Mozart

Quasi una fantasia

Thomas Seldnitz (Viola), László Fenyo˝ (Violoncello), Academia Allegro Vivo, Vahid Khadem-Missagh (Violine und Leitung)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Edition O1/ORF
erschienen in: das Orchester 07-08/2020 , Seite 72

Die 1979 als Residenzorchester des „Allegro Vivo Fertivals“ gegründete Academia Allegro Vivo aus Österreich dürfte sich mit diesen hervorragenden Einspielungen unter ihrem neuen Leiter Vahid Khadem-Missagh endgültig fest im Muskleben etablieren: als ein – übrigens vor allem mit Musikerinnen besetztes – Ensemble, das mit seiner Programmgestaltung und Spielkultur schlechterdings Vorbildliches bietet. Hier spielen sie gleich zwei Uraufführungen ein, die beide für das Ensemble komponiert wurden: das dreisätzige, gänzlich unaufdringlich auf Beethovens „Mondscheinsonate“ anspielende Quasi una fantasia, ein Doppelkonzert für Violine, Cello und Streichorchester von Christoph Ehrenfellner (*1975), sowie das einsätzige Violinkonzert von Tristan Schulze (*1964). Beide Werke erkunden, wie Ehrenfellner bekennt, die „schier unbegrenzten Möglichkeiten, die im Rahmen der Tonalität möglich sind“, und in beiden Werken sind die von Khadem-Missagh (Violine) und László Fenyő (Cello) glänzend interpretierten Soloparts weniger als dominierende Solostimmen ausgestaltet, als dass sie vielmehr mit aller anspruchsvollen Virtuosität gewissermaßen vor dem Tutti des Streichorchesters die Stimmen des „Subjekts“ repräsentieren und entsprechend sehr differenziert in das orchestrale Tutti eingebunden bleiben. Jedenfalls stellt sich dieser Eindruck durch die ungemein geschmeidige, perfekt abgestimmte, intensive Aufführung ein, die beiden Werken zu bester Wirkung verhilft. Man wünschte, dass sie Eingang ins allgemeine Repertoire fänden! Dieses Interpretationskonzept einer wirklich musizierenden Darstellung des Notentextes verhilft vor allem auch den beiden Mozart-Einspielungen zu unerhörten, neuartigen Wirkungen. Thomas Seldnitz als Bratscher und Khadem-Missagh finden als Solisten in ihrer Einspielung der Mozart’schen Sinfonia Concertante Es-Dur KV 364 – sie ist vielleicht doch Mozarts schönstes Konzert – zu einem inneren Gleichklang, der geradezu vermuten lässt, beide Instrumente werden vom selben Musiker gespielt.
Und die späte g-Moll-Sinfonie Nr. 40 KV 550 ist hier endlich einmal mit einem Beachten aller Wiederholungen eingespielt, wie sie kaum spannender zu denken ist. Die Aufführenden geben der Musik mit zügigen, aber keinesfalls überdrehten Tempi einen ausdrucksvoll-sprechenden Duktus, der sie eindringlich verlebendigt. Das ist ein in allen Orchesterinstrumenten Dialogisieren, das alle Stimmen gleichsam zum (thematisch gebundenen) „Argumentieren“ anhält und auch den Hörer gewissermaßen einbezieht. Erstaunlich auch, wie ungemein klangvoll-bewegt, geradezu spontan der reiche Kontrapunkt im Durchführungs- und Reprisen-Teil aus dem Kopfsatz der Sinfonie ausgespielt wird, ohne dass sich der Eindruck einstellt, Mozart bemühe sich hier um einen möglichst aufwendigen, „gelehrten“ Tonsatz. Lebendiger und damit auch zeitgenössischer kann man sich Mozarts Musik kaum aufgeführt vorstellen.
Giselher Schubert