Franz Schubert

Quartettsatz c-Moll D 703

Urtext, hg. von Egon Voss, Studienpartitur/Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle
erschienen in: das Orchester 10/2020 , Seite 67

Das Partiturautograf des sogenannten Quartettsatzes in c-Moll D 703 liegt vor. Es ist datiert mit „Dec. 820“, wurde also vermutlich im Dezember 1820 begonnen. Die Komposition steht relativ isoliert in Schuberts Werkkatalog. Soweit bekannt, hat Schubert vier Jahre zuvor sein letztes Streichquartett geschrieben (Es-Dur, D 353), und es brauchte erneut vier Jahre, bis er sich mit der Gattung wieder befasste (a-Moll, D 804, “Rosamunde”). Die Arbeit am c-Moll-Werk brach er bald ab: Außer dem vollendeten ersten Satz gibt es nur ein paar Takte des zweiten Satzes (in As-Dur). Die Gründe für den Abbruch kennt man nicht.
Das Fragment aber geriet in gute Hände: Ferdinand Schubert verwahrte es im Nachlass seines Bruders, dann kam es in den Besitz von Johannes Brahms – wie, ist unbekannt. Aber Brahms veranlasste die erste Aufführung des c-Moll-Satzes 1867 in Wien und eine Notenausgabe in Leipzig 1870. Der heute benutzte Titel „Quartett-Satz“ geht auf Brahms zurück.
Stellt sich die Frage: Warum gab es bisher keine Urtext-Ausgabe bzw. warum braucht man nun eine neue? Das ist nicht ganz leicht zu beantworten. Zum einen fand keine „Schlussredaktion“ der Partitur durch den Autor statt, wie sie vor einer Uraufführung oder bei Drucklegung üblich ist. Als Schubert diese erste Niederschrift abschloss, nahm er (vielleicht nachträglich) allerdings eine Reihe von Änderungen vor, strich etwa 26 Takte in der Schlussgruppe der Exposition, verlegte das Cello an einer Stelle eine Oktave tiefer oder einen Abschnitt der Zweiten Violine in das Bassinstrument. Es gibt sogar Korrekturen, die bei der Wiederholung in der Reprise unverändert sind: Wurden sie vergessen?
Auf der anderen Seite sind „die zahlreichen Unterschiede in Dynamik, Artikulation oder Phrasierung“ auffallend, so der Herausgeber Egon Voss im Vorwort der neuen Partitur, Abweichungen in Wiederholungen etwa, die unangetastet blieben – „was nicht bedeuten muss, dass Schubert sie übersehen hätte. Es kann ebenso gut heißen, dass sie seinen Absichten entsprachen. […] Schubert scheint den Variantenreichtum geradezu gesucht und mit Varianten gleichsam experimentiert zu haben“, so Voss’ Erkenntnis.
Diese kritische Neuausgabe des Quartettsatzes, die mit Unterstützung der Gesellschaft der Musikfreunde Wien entstand, ist gegenüber früheren Editionen bestrebt, „der beschriebenen Vielfalt gerecht zu werden“. Sie geht daher mit Unterschieden differenzierter um als ihre eher zur Angleichung neigenden Vorgängerinnen und lässt sie im Notentext stehen. Kenntnisreich kommentiert werden sie im Anhang. Hier finden sich auch die 41 Takte des Andante-Fragments.

Matthias Roth