Mustonen, Olli

Quartetto

per oboe, violino, viola e pianoforte (2010), Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: das Orchester 10/2012 , Seite 64

 In früheren Zeiten komponierten sie alle, die großen Virtuosen. Bis etwa zur Wende zum 20. Jahrhundert galt es als Selbstverständlichkeit, dass ein bedeutender Instrumentalist auch als Tonschöpfer in Erscheinung trat. Es gehörte einfach zu einem kompletten Musiker. Ein durch die Erfindung der Tonaufzeichnung noch forcierter, ständig steigender Anspruch an die instrumentale Perfektion stellte die meisten Musiker nach 1900 bald vor Entscheidungszwänge. Man musste sich – Ausnahmeerscheinungen wie Georges Enesco einmal bei Seite gelassen – spezialisieren, war hinfort in der Regel entweder Virtuose oder Komponist, für viele Künstler eine überaus schmerzhafte Alternative. Paul Hindemith z.B. hat lange Zeit versucht, beide Karrieren – Bratscher und Komponist – zu vereinen, bis er einsehen musste, dass die Doppelbelastung letztendlich beidem abträglich war.
In den vergangenen Jahren notieren wir jedoch interessiert mehr moderne Starvirtuosen, denen es gelingt, sich einen Freiraum zu tonschöpferischer Tätigkeit zu erhalten, ohne dass das hohe Niveau ihres Instrumentalspiels leidet. Es sind Ausnahmen, aber es werden mehr.
Der Finne Olli Mustonen ist so ein Fall. Als Pianist von Weltklasseformat bereist er die großen Konzertsäle der Welt, er dirigiert und er tritt immer wieder mit eigenen Kompositionen hervor, wie mit dem Quartetto per oboe, violino, viola e pianoforte, komponiert 2010 und uraufgeführt im März 2011. Geschrieben als Auftragswerk für die Arizona Friends of Chamber Music, bestätigt das 16 Minuten dauernde, zweisätzige Quartett Mustonens Faible für Kammermusik in ungewöhnlichen Besetzungen.
Mustonen komponiert so, wie er Klavier spielt: kompromisslos, durchaus kantig und das konstruktive Element ins Blickfeld rückend, ernsthaft und abhold jeglicher Sentimentalität und äußerlich-salonhaften Gestik, eigentümlich spröde und trotzdem klangsinnlich intensiv. Die Tonsprache ist weitestgehend tonal, Klavier und die oft chorisch geführten drei anderen Instrumente scheinen – Chören einer griechischen Tragödie ähnlich – blockartig Zwiesprache zu halten, über viele Takte hinweg Spannungsfelder aufbauend, die sich in breit angelegten Höhepunkten entladen. Das hat wie bei Sibelius etwas vom Aufschichten tektonischer Platten an sich, ein Eindruck, der noch verstärkt wird durch die extreme Basslage, in der das Klavier gerade im 1. Satz häufig beidhändig agiert. Die Motivik ist einfach, plastisch und eingänglich. Der 1. Satz, “Quasi una passacaglia”, ist sorgsam polyfon gearbeitet, eine Hommage wohl an Bach und Schostakowitsch, die in Mustonens Klavierrepertoire einen bevorzugten Platz einnehmen, ebenso wie Beethoven, dessen Motto zum Finale seines letzten Streichquartetts op. 135 Mustonen für den 2. Satz teilweise aufgreift (“Es muss sein!”). Das Werk endet in einem großflächig aufgebauten und breit angelegten Fortissimo-Klimax, den Schlussakkord bildet ein Ton-Cluster.
Ein lohnendes, gut fassliches Werk für eine nicht alltägliche Besetzung.
Herwig Zack