Quartett Rosé
Historische Aufnahmen von Werken Sarasates, Goldmarks, Nardinis, Haydns, Beethovens, Mendelssohns und anderen
Das Wiener Rosé-Quartett ist heute hauptsächlich noch im Zusammenhang mit zahlreichen Uraufführungen bekannt: Die Liste ist bemerkenswert und reicht von Brahms’ G-Dur-Streichquintett op. 111 und Klarinettenquintett op. 115 bis zu Schönbergs Sextett Verklärte Nacht und den Streichquartetten
d-Moll op. 4 und fis-Moll op. 10. Die „Luft vom anderen Planeten“, die Letzteres berühmt machte, also den Schritt zur freien Tonalität, atmete das Ensemble um den Konzertmeister der Wiener Hofoper und Quartett-Primarius Arnold und seinen Bruder, den in Weimar tätigen Cellisten Eduard Rosé, allerdings nicht, während man in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts immerhin auch Werke von Korngold, Schmidt oder Weingartner aus der Taufe hob. 1938 ging Arnold nach London in die Emigration, während Eduard, der die jüngere Schwester von Gustav Mahler geehelicht hatte, in Weimar verblieb, deportiert wurde und 1943 in Theresienstadt starb.
Unter Kennern sind die Aufnahmen des Rosé-Quartetts durchaus bekannt, aber sie sind heute schwierig greifbar oder nur für Spezialisten zugänglich, die noch über analoge Plattenspieler, gar solche mit 78 Umdrehungen/Minute verfügen. Denn was das Quartett und seine Mitglieder an Tondokumenten hinterlassen haben, wurde alles auf Schellack gebannt. Äußerst verdienstvoll ist daher Wolfgang Wendels Initiative, einige seltene Tondokumente Arnold Rosés und seines Quartetts nun digitalisiert auf CD zu publizieren, mit ausführlichem Booklet zur Musikerfamilie Rosé.
Die Aufnahmen stammen aus den Jahren zwischen 1902 (in diesem Jahr machte Caruso seine erste Platte) und 1931. Sie unterscheiden sich sehr in ihrer Tonqualität, denn gerade in diesen zweieinhalb Jahrzehnten veränderte sich die Aufnahmetechnik rasant. Das um 1900 noch neue Verfahren der Tonaufzeichnung war Ende der 20er zu einem Massenmedium geworden. Da das Tonband erst 1935 marktfähig entwickelt war, waren Direktschnitte auf Schellack bis dahin nur ohne Korrekturen möglich: Das macht sie musikalisch interessant, da keine nachträglichen Eingriffe möglich waren.
Es braucht eine Weile, bis sich das heutige Ohr an die Nebengeräusche gewöhnt hat und man – besonders in den sehr frühen Aufnahmen – die Geige überhaupt als Geige identifizieren kann. Der Hörgenuss ist teilweise deutlich eingeschränkt, aber die historische Bedeutung dieser seltenen Dokumente steht außer Frage. Bei Beethovens Quartett op. 18/4 (Komplettaufnahme von 1927), aber auch den Aufnahmen von Einzelsätzen Cherubinis, Boccherinis oder Haydns, besonders aber in der Bach’schen Air aus der Suite in D-Dur, die aus den 20ern stammen, sind die typisch wienerische Behandlung des Metrums und der musikalischen Agogik auffallend, die Arnold Rosés Geigenspiel auszeichneten.
Matthias Roth