Otmar Nussio

Quartett in D

für Streichquartett mit Kontrabass (ad lib.), Partitur und Stimmen

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott/Johannes Oertel Verlag
erschienen in: das Orchester 7-8/2022 , Seite 65

Obgleich zunächst als Flötist am Züricher Konservatorium angestellt und 1938 bis 1968 als Chefdirigent des Orchestra della Svizzera italiana in Lugano tätig, hat sich Otmar Nussio (1902-1990) vor allem als Komponist verstanden und ein umfassendes, heute teilweise unzugängliches Œuvre hinterlassen. Die vorliegende Wiederveröffentlichung des Quartett in D bietet daher eine willkommene Möglichkeit, dem gemäßigt modernen Schaffen Nussios auf die Spur zu kommen.
Die Wahl der Satzbezeichnungen „Intrada“, „Notturno“, „Intermezzo“ und „Finale“ verweist auf eine gewisse Distanz zu den charakteristischen Formverläufen des Sonatenzyklus, die vom reihungsartigen Aufbau des Kopfsatzes bestätigt wird: In unterschiedliche harmonische Zusammenhänge eingebettet, bestimmen zentrale Elemente des marschartigen Themas – insbesondere der Themenkopf und die charakteristischen Ketten aus punktierter Achtel und Sechzehntel – die einzelnen Abschnitte, wobei Nähe und Distanz zur Grundtonart D-Dur einer Profilierung formaler Angelpunkte dienen.
Ähnlich arbeitet Nussio im stimmungsvollen zweiten Satz, dessen Andantino-Thema in wechselnden Schattierungen erscheint. Das Presto-„Intermezzo“ – wesentlich komplexer, als sein harmloser Titel vermuten lässt – wartet mit kont­rastreich eingebetteten rhythmischen Rückbezügen zum Kopfsatz auf, die dann in spielerischem Duktus auch noch im wesentlich geradlinigeren, von Unisono-Passagen durchzogenen Finalsatz (Vivace assai) aufgegriffen werden.
Bei der Ausgabe handelt es sich um ein Reprint des ursprünglich 1959 im Johannes Oertel Verlag
publizierten Materials, dessen Notenbild nicht den sonstigen, großzügig gesetzten Schott-Editionen entspricht. So dankenswert es ist, das Werk in dieser Weise wieder verfügbar zu machen, so schmerzhaft ist allerdings das Fehlen von Hintergrundinformationen: Die Chance, die Edition durch Informationen zum Komponisten, zum Entstehungskontext des Stücks oder zu aufführungspraktischen Erwägungen aufzuwerten, hat man leider nicht ergriffen.
Immerhin macht ein genauerer Blick in die Partitur deutlich, dass die Besetzungsangabe „für Streichquartett mit Kontrabass (ad lib.)“ wörtlich zu nehmen ist: Es handelt sich keineswegs um ein Quintett mit annähernd gleichwertigen Stimmen, sondern der Kontra­bass-Part dient über weite Strecken hinweg der Verdopplung oder klanglichen Verstärkung des Violoncellos. Dass Nussio ihn dennoch an einigen Stellen dazu nutzt, um das metrische Gerüst der Musik stärker herauszuarbeiten, und ihm mehrfach als einziger Stimme die betonten und harmonisch bedeutsamen Tonstufen zuweist, spricht allerdings eindeutig dafür, die Komposition mit einem fünfköpfigen Ensemble aufzuführen.
Und sogar die Aufführung durch ein Streichorchester – gegebenenfalls unter Einbeziehung solistisch besetzter Abschnitte – erscheint eine denkbare Alternative, auch wenn sie vom Komponisten nicht vorgesehen ist.
Stefan Drees