Ignaz Lachner

Quartett G-Dur

für vier Violinen op. 107, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Accolade
erschienen in: das Orchester 06/2018 , Seite 64

Angesichts der umfassenden Verfügbarkeit copyrightfreier Ausgaben älterer Werke im Internet müssen sich Notenverlage heute bei der Publikation solcher Literatur verstärkt am Mehrwert orientieren, den eine Printausgabe gegenüber digitalisierten Quellen haben kann. Die vorliegende, von Bodo Koenigs­beck herausgegebene Edi-tion von Ignaz Lachners Quartett ist ein Lehrstück für diese Problematik: Prinzipiell begrüßenswert ist der Umstand, dass hier ein reizvolles viersätziges Werk für die kompositorisch eher selten (beispielsweise von Georg Philipp Telemann, Jakob Dont, Charles Dancla und Grazyna Bacewicz) bediente Besetzung mit vier Violinen ohne Bassfundament erneut in einer praktischen Ausgabe, basierend auf dem Londoner Erstdruck von 1895, zugänglich gemacht wird.
Da das Quartett spieltechnisch nicht allzu herausfordernd ist – allein die erste Violine verlangt unbedingt das Spiel in der dritten Lage –, dürfte es sich auf jeden Fall für die Verwendung im Unterricht sowie für den frühen kammermusikalischen Vortrag eignen. Allerdings erscheint es dann auch sinnvoll, an der einen oder anderen Stelle einen Stimmentausch einzuführen, um der doch etwas eintönigen Hierarchisierung der Einzelparts – dritte und vierte Violine treten fast ausschließlich begleitend auf – entgegenzuwirken.
Die im knappen Vorwort nachzulesende Auskunft, im Zuge der Neuedition seien „kleine Ungenauigkeiten […] stillschweigend korrigiert“ worden, verweist darauf, dass die Ausgabe ohne beigegebene Auflistung problematischer Textlesarten auskommt, die Stimmen also lediglich in bereinigter Form (aber inklusive der wenigen originalen Angaben zur Verwendung von Leersaiten und Flageoletts) in großzügigem, gut lesbaren Notenbild präsentiert und zudem – ein tatsächlicher Mehrwert – um eine Studienpartitur ergänzt werden.
Dies wäre auch in Ordnung, wenn der Herausgeber aus mangelnder Sorgfalt nicht wieder eine Reihe von Fehlern in den Notentext eingebaut hätte. So fehlen nicht nur Artikulationszeichen (1. Satz, 2. Vio­line, T. 45) oder Crescendo- und Decrescendoangaben (3. Satz, 1. Violine, T. 49 und 85-86), sondern es werden aus unerfindlichen Gründen auch Decrescendoklammern gedruckt, die – ganz im Gegensatz zum Erstdruck – bei parallel geführten Stimmen unterschiedlich weit reichen (1. Satz, 1. und 2. Violine, T. 127).
Besonders problematisch sind aber all jene Stellen des menuettartigen 3. Satzes, wo auf den langen Tönen des Hauptthemas Akzente gesetzt werden: Sieht man sich den Erstdruck an, ließen sich die dortigen Zeichen (insbesondere in T. 39-40, 1. und 2. Violine) auch als Decrescendi oder gar als auf das Vibrato bezogene Anweisungen lesen, wodurch die Musik einen ganz anderen Charakter bekäme. Der Verzicht auf eine Korrekturliste, die auf solche Probleme und die gewählten Lösungen aufmerksam macht, ist denn auch – neben den unnötigen Textfehlern – eine empfindliche Schwäche dieser Edition.
Stefan Drees