Kelterborn, Rudolf

Quartett-Fragmente

(Streichquartett 7), Partitur/Stimmensatz

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2014
erschienen in: das Orchester 10/2015 , Seite 69

Schon seit über zehn Jahren ist vom „Alterswerk“ die Rede, wenn es um neue Kompositionen aus der Feder des Schweizer Komponisten Doyens Rudolf Kelterborn (*1931) geht, der schon vor über einem halben Jahrhundert seine erste Kompositionsprofessur an der heutigen Hochschule für Musik Detmold antrat. Noch länger her sind dessen frühe Stücke für Streichquartett: Das erste beim Bärenreiter-Verlag verlegte Werk führte das Quartett um den Dresdner Staatskapell-Konzertmeister Willibald Roth in München auf, als der Komponist gerade seinen 35. Geburtstag gefeiert hatte. Von liebevoll-altersmilden Erinnerungen, „intimen“ Briefen oder Ähnlichem jedoch nach wie vor keine Spur bei Kelterborn. Seine neuen Quartett-Fragmente, die in Klammern die Quartett-Opuszahl 7 mitführen, sind eher als Zeugnis einer inneren Unruhe, einer Zerrissenheit
zu lesen, zu hören und zu spielen. Dreißig solche „Ausrisse“ hat Kelterborn aneinandergefügt. Meist sind sie durch Generalpausen oder Fermaten voneinander abgesetzt; manche durch übergehaltene sul-ponticello-Flageoletts oder geräuschhaftes Tremolo einer einzelnen Stimme zusammengebunden.
Eine strukturierende Dramaturgie gewinnt das Quartett mithilfe einzeln gesetzter, gleißender Dur-Dreiklänge, die Kelterborn indes (wie schon in früheren Werken) nicht als freundliche Reminiszenz, sondern eher als Unruhestifter platziert, als kontrastierende Klangsäulen, die den Hörer in ihrer Schönheit von Anfang an misstrauisch machen sollten. Und tatsächlich, ein in Takt 136 beginnender, langsam dynamisch pulsierender Akkord dehnt und bläht sich irgendwann à la Salvador Dalí; die Einzeltöne zerschmelzen wie in einem Fiebertraum. Andernorts schleichen die angriffslustigen Protagonisten um felsigschroffe Akustik-Klippen, die Bögen immer im Anschlag, während über ihren Köpfen die Oberton-Glissandi nervös hin- und hersurren. Das ist Filmmusik, die Kelterborn hier abliefert; Hitchcock mindestens, vielleicht Schwärzeres. Rätselhaft und undeutbar bleibt der Schlusston des elf- bis zwölfminütigen Werks: ein nach vielen schnarrenden Bartók-Knallern unvermittelt rein ausklingender Pizzicato-Ton im Cello.
In Auftrag gegeben hat das Werk das Schweizer Festival Usinesonore im Jahr 2012 für das Arditti-Quartett. Vermutlich wurde die Komposition durch Mittel der Ernst von Siemens Musikstiftung ermöglicht. Ein entsprechender Vermerk ist in der Partitur indes nicht abgedruckt. Die Partitur ist eine gut lesbare Kopie des Autografs, daneben ist ein Stimmensatz in einer Mappe erhältlich.
Martin Morgenstern