Geiser, Martin

Pultstar

Roman

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Selbstverlag 2016
erschienen in: das Orchester 02/2017 , Seite 59

Vorstellbar, dass Musik ein Leben so vereinnahmt, dass dienes alle Bodenhaftung verliert. Die Welt des Klangs wird zum alles vertilgenden Gravitationszentrum. Welche Folgen das haben kann, schildert der Schweizer Autor Martin Geiser in seinem Romandebüt Pultstar. Im Mittelpunkt des Romans steht die Figur des weltberühmten Dirigenten Victor Steinmann, dessen Lebensgeschichte in Form einer Symphonie in vier Sätzen geschildert wird.
Der 1. Satz, Allegro energico, umfasst die Lehr- und Wanderjahre des Dirigenten, der mithilfe seines Managers die bedeutendsten Musikzentren erobert – mit Wien als finalem Höhepunkt. Der 2. Satz, Andante, ist eine Art Liebesidylle – Ehe mit der Cellistin Veronique und Geburt des Sohnes Fabrice –, bis diese glückliche Zeit durch den Unfalltod von Veronique ein jähes Ende findet. Im 3. Satz, Scherzo, gründet Steinmann das Orchester Swiss Philharmonic mit Sitz in Thun, mit dem er sich aber bald überwirft und als Gastdirigent weiter durch die Welt reist. Im 4. Satz, Finale, verdichtet sich das Geschehen; viele Figuren aus Steinmanns Vergangenheit tauchen wieder auf, todgeweiht und Todesboten zugleich, bis am Ende das geschieht, womit der Roman beginnt: mit dem Mord an Victor Steinmann. Verübt von seinem Sohn Fabrice.
Was anfangs völlig unerklärlich ist, wird hinsichtlich des Tatmotivs am Ende des Romans nachvollziehbar sein: Steinmann, der so bewunderte Dirigent, ist abseits vom Publikum ein krankhafter Egomane und machtgieriger Diktator – nur die Liebesepisode ist da eine Ausnahme. Ansonsten demütigt er die Orchestermusiker, duldet keinerlei Widerspruch und irgendwelche Konkurrenz, behandelt seine unzähligen Frauen – ausgenommen Veronique – wie Wegwerfware und zerstört das Leben seines Sohnes Fabrice. Obwohl er in diesem anfänglich seinen Nachfolger sieht, lässt er ihn, als dieser als Pianist und Dirigent in Erscheinung tritt, gnadenlos fallen.
Victor Steinmann ist sein eigener Fixstern. Dass er seinem Sohn auch noch die Frauen wegnimmt, schürt dessen Hass umso mehr. Bevor sich Fabrice nach seinem Vatermord selbst die Kugel gibt, schreibt er seine eigene Geschichte nieder. Diese Unterlagen werden einem berühmten Musikkritiker zugespielt, der sie in den Roman einbaut, den er über Victor Steinmann schreibt. In formaler Hinsicht ist Geisers
Roman brillant gemacht.
Auch in inhaltlicher Hinsicht. Der Leser erfährt vieles aus und über die Welt der Musik: Partituranalysen und Beschreibungen von Klängen, anekdotische Anspielungen auf andere (reale) Dirigenten bringen die Rückseite der Klangwelten zur Sprache. Der Diktator Steinmann mit seiner Abneigung gegen jedwede Moderne ist gewiss ein Relikt aus einer vergangenen Dirigentengeneration. Aber er ist zugleich noch mehr. Nämlich Symbol für jenes Böse, das stets das Gute schafft. Ein Adrian Leverkühn verkauft seine Seele dem Teufel, um neue Klangwelten zu erfinden; Victor Steinmann wird zum Teufel, um spätromantische Klänge engelsgleich zu zelebrieren. Gratis gibt’s die Engel nicht.
Winfried Rösler