Rainer Glaap
Publikumsschwund?
Ein Blick auf die Theaterstatistik seit 1949
Der Rückgang der Zuschauerzahlen in den deutschen Theatern und Opernhäusern lässt sich nicht wegdiskutieren. Für den reinen Konzertbetrieb (Klassik und darüber hinaus) fehlen die Daten. Rainer Glaap beleuchtet die Entwicklungen der vergangenen sieben Jahrzehnte und setzt sie in den Kontext gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Veränderungen. Mit dem Blick in die Vergangenheit, auf die Zahlen und Zusammenhänge einer Gesellschaft mit verändertem Freizeitverhalten und Kulturverständnis, ist naturgemäß die Hoffnung verbunden, Gesetzmäßigkeiten zu entdecken, aus denen sich Antworten für eine zeitgemäße Publikumsentwicklung ergeben.
Glaap arbeitet sich an der Theaterstatistik als zentralem Werkzeug der Kulturforschung ab. Im Mittelpunkt stehen die Theaterbesuche von 1949 bis heute, die er auf Basis der Daten der Deutschen Bühnenvereinigung analysiert. Dabei zeigt er nicht nur die Rückgänge und Spitzen auf, sondern erörtert auch die Ursachen dieser Schwankungen. Er beleuchtet entscheidende Einflüsse wie das Aufkommen neuer Medien, den Wandel im Freizeitverhalten der Bevölkerung sowie die Entwicklungen der Förderpolitik.
Die historische Perspektive und die fachliche Einordnung überzeugen weitgehend und werden durch Hinzuziehung verfügbarer Daten aus der ehemaligen DDR besonders interessant. Inhaltlich geht es manchmal etwas daneben, wenn etwa Lübeck mit Lüneburg oder das Bundesverfassungsgericht mit dem Bundesarbeitsgericht verwechselt wird. Leider kommt der Bereich der Festspiele und Open-Air-Veranstaltungen, deren Zahl sich in über drei Jahrzehnten vervielfacht hat, zu kurz.
Es wird deutlich, wie sehr sich die Rolle des Theaters seit Gründung der Bundesrepublik verändert hat. Während die Theaterlandschaft in der Nachkriegszeit einen kulturellen Aufbruch erlebte, deutet der Autor die rückläufigen Besucherzahlen seit den 1980er Jahren als Signal einer grundlegenden Umwälzung im Verhältnis zwischen Publikum und Theater. Eine der Stärken des Buchs liegt in der Verknüpfung von Zahlen und Bewertungen. Glaaps Interpretation lässt einen die Theaterstatistik auf jeden Fall besser verstehen. Wertvoll ist das Buch für Kulturpolitiker und das Theatermanagement.
Offen bleibt, ob sich der Autor nicht stärker den Herausforderungen der Gegenwart hätte widmen sollen. Konkrete Handlungsempfehlungen für die Publikumsentwicklung hätten dem Buch zusätzliche Relevanz verliehen. Insgesamt ist „Publikumsschwund?“ eine gut recherchierte Lektüre, die den Leser mit einem fundierten Überblick über die Entwicklungen seit 1949 versorgt. Ein guter Beitrag zur Debatte über die Zukunft der Theater in Deutschland.
Gerald Mertens